Teuerball
Alles wird teurer. Aber kaum ein Preis stieg so sehr wie jener für Fussballtickets. Werden Schweizer Fussballfans abgezockt? Oder kommt man hierzulande vergleichsweise gut weg? ZWÖLF holte in Ausgabe #53 den Rechenschieber hervor.
Von Mämä Sykora und Silvan Kämpfen (Tickets: zVg von Pascal Claude)
Als Dominik am Bankomat steht, kommt er ins Grübeln. Ist er nicht gestern erst hier angestanden, weil sich in seinem Portemonnaie nur noch jene paar Münzen befanden, die man anscheinend nie los wird? Und hatte er hier nicht kurz zuvor schon Bargeld auftanken müssen? Wie kann es sein, dass er in so kurzer Zeit so viel Geld verprasst? Der Versuch, die grösseren Ausgaben der letzten Tage im Kopf zu einer Liste zu ordnen, macht ihm derart zu schaffen, dass er zweimal den Code falsch eintöggelt. Gut, beim Mittagessen vom Buffet hat er wiederholt das Gewicht des Kartoffelsalats böse unterschätzt und dafür an der Kasse bluten müssen. Und ja, er ist nach Feierabend mal noch ein klein wenig in einer Bar hängen geblieben. Aber auch das kann doch nicht der Grund für seine andauernde Ebbe sein. Und plötzlich, als der Automat die zwei blauen Scheine herausspuckt, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Fussball! Englische Woche! Die Stadionbesuche!
Auf dem Heimweg überschlägt er kurz die Kosten. Zweimal war er im Letzigrund, einmal nahm er die Kinder mit, und zuletzt sah er, wie die Thuner aus der AFG-Arena drei Punkte entführten. Das tat er nicht ganz freiwillig, aber Wettschulden sind nun mal Ehrenschulden. Er musste seinen St. Galler Fussballfreund sogar einladen, weil eben nicht wie von ihm prophezeit die Thuner sondern diese traurigen Aarauer abgestiegen waren. An der Haustür angekommen, hat er endlich alles zusammengerechnet. 280 Franken! Kopfschüttelnd leert er den Briefkasten und wirft im Treppenhaus einen Blick auf den Werbeprospekt eines Reiseunternehmens. Da! 280 Franken! Dafür könnte er eine Woche nach Alanya fliegen, Hotel Caligo, drei Sterne! Sun, fun and nothing to do. Er müsste einzig auf ein paar Super-League-Partien verzichten.
Zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Einnahmen generieren Super-League-Klubs aus den Heimspielen. Ein grosses Geschäft sind sie dennoch längst nicht überall.
Überlebenswichtige Zuschauereinnahmen
Fussballschauen in der Schweiz kostet. 54 Franken bezahlt man an der Tageskasse durchschnittlich für einen guten Platz auf der Gegentribüne. Man darf annehmen, dass die hiesigen Klubs viele Überlegungen angestellt haben, um die aus ihrer Sicht optimalen Preise festzulegen. Denn mangels einträglichem TV-Deal oder fetten Sponsoringverträgen sind die Zuschauereinnahmen für sie nach wie vor essenziell. Zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Einnahmen generieren Super-League-Klubs aus den Heimspielen. Ein grosses Geschäft sind sie dennoch längst nicht überall. FCZ-Präsident Ancillo Canepa erklärt, was auch jeder andere Super-League-Präsident unterschreiben würde: «Unsere Infrastrukturkosten sind immens: Stadionmiete, Polizeikosten, Sicherheit im Stadion …» Um diese Kosten alleine mit den Tickets zu decken, müsste man die Preise sogar deutlich erhöhen, fügt Canepa an.
In der Theorie ist ja alles ganz einfach. In jedem Marketingkurs wird gelehrt, dass der ideale Preis von drei Faktoren bestimmt wird: Was haben wir für Kosten? Was macht die Konkurrenz? Und schliesslich: Was sind unsere Kunden bereit zu bezahlen? Gerade hier aber ist der Spielraum für Fussballklubs beschränkt. In der Schweiz erst recht. Ein Hotel oder eine Airline schraubt in der Regel so lange am Preisregler, bis die Auslastung stimmt. Die meisten Super-League-Klubs dagegen würden ihr Stadion auch zu Spottpreisen nicht vollbekommen.
Mehr Zuschauer bei billigeren Tickets?
Tatsächlich behaupten zwar viele Fussballinteressierte, sie würden den Stadien fernbleiben, weil die Tickets schlicht zu teuer seien. In der Vergangenheit durchgeführte Experimente entlarven diese Aussage jedoch als faule Ausrede: Bloss 20 Franken kosteten 2014 die meisten Plätze bei GC gegen Lille. Es kamen 7700 – zu einem Champions-League-Qualifikationsspiel notabene. Der St. Jakob-Park war im selben Jahr nicht einmal zur Hälfte besetzt, obwohl der FCB für die Partie gegen Maccabi Tel Aviv die Preise halbierte. Dabei ging es immerhin um den Europacup-Achtelfinaleinzug. Von der nationalen Meisterschaft ganz zu schweigen. Die Frage sei erlaubt: Wie viel müsste ein Ticket für Luzern – Thun kosten, damit die Swissporarena ausverkauft ist? Oder erst FCZ – Sion? Womöglich blieben selbst dann Plätze frei, wenn man den Zuschauern Gratis-Eintritt anbieten und dazu noch eine Wurst offerieren würde.
Keine einzige Partie der Saison 2015/16 war ausverkauft. Die Nachfrage ist schlicht zu klein im Vergleich zum Angebot. Hauptsächlich liegt das daran, dass die Stadionkapazitäten in der Schweiz auf die alle paar Jahre einmal anstehenden grossen Partien ausgelegt sind; eine Finalissima oder ein Top-Gegner im Europacup. So hätte der FCZ gegen Real Madrid das Stadion trotz hoher Preise zehnmal ausverkaufen können, wie Canepa sagt. Dass eine Senkung der Ticketpreise einen grossen Einfluss auf den Aufmarsch bei normalen Partien hätte, daran glaubt auch der gelernte Wirtschaftsprüfer nicht: «Die Preiselastizität ist nicht sehr gross. Wenn wir die Preise reduzieren würden, kämen kaum wesentlich mehr Zuschauer. Viel wichtiger ist es, dass attraktiver und erfolgreicher Fussball gespielt wird.»
«Die Preiselastizität ist nicht sehr gross. Wenn wir die Preise reduzieren würden, kämen kaum wesentlich mehr Zuschauer.»
Diese Erfahrung hat man auch beim FC Luzern gemacht. Den sinkenden Zuschauerzahlen begegnete man auf die Saison 2014/15 mit deutlich vergünstigen Saisonkarten sowie allerlei Vergünstigungen und Gutscheinen. Und doch kamen wieder weniger Besucher. An der GV meinte FCL-Präsident Ruedi Stäger: «Ich zweifle daran, dass eine angemessene Senkung der Ticket-Preise viele Leute umstimmen würde. Es braucht wieder den sportlichen Erfolg, um auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein.»
Fankurve als «extrem sensibler Bereich»
Selbst wenn mit Ticketvergünstigungen ein leichter Anstieg zu erreichen wäre, die Rechnung ist schnell gemacht: Am Ende hat man lieber 10’000 Zuschauer, die 40 Franken bezahlen als 11’000 zum Preis von 30 Franken. Für die Klubs lohnt es sich also schlicht nicht, die Preise zu senken. Gleichzeitig schröpfen sie die Fans aber auch nicht bis aufs Maximum. Die Kurven sind in der Schweiz überall gut gefüllt. Ausgerechnet hier sind die Preise aber deutlich günstiger als im Rest des Stadions. Würde es gemäss ökonomischer Logik also nicht Sinn machen, hier mehr Geld zu verlangen?
Ja, findet Matthias Remund, Direktor des Bundesamts für Sport. In der «SonntagsZeitung» riet er den Klubs, die Ticketpreise zu erhöhen. Obendrein hätte dies eine Abnahme der Ausschreitungen zur Folge, denn «dann sprechen die Vereine eine andere Klientel an.» Dass diese Rechnung aufgehen würde, glaubt man beim FC Luzern nicht. «Wenn wir die Preise erhöhen, haben wir weniger Leute und weniger Stimmung im Stadion», liess der Klub gegenüber «20 Minuten» verlauten. Auch Peter Mathias Fischer, Professor für Marketing an der Universität St. Gallen, hält die jetzige Preispolitik für sinnvoller: «Die Vereine betreiben eine Art Quersubventionierung. Man bietet VIP-Logen und teure Tribünenplätze an, um mit diesem Geld dann günstigere Plätze für Schüler, Studierende und Personen mit geringem Einkommen anbieten zu können.»
Diese hohe Preisspreizung sei richtig, weil sie für eine gute Durchmischung im Stadion sorge. Wenn man die günstigsten Tickets anhebe, könne dies rasch zu Unruhen führen. Viele Klubs leben von den Fans, sie sind ein wichtiger Teil der Marke und fürs Stadionerlebnis verantwortlich. «Es nützt mir nichts, wenn ich höhere Einnahmen habe und die Stimmung dafür jener in einem Theater gleicht. Das wirkt sich negativ auf die Vereinsmarke aus und beeinträchtigt am Ende auch andere Einnahmen, zum Beispiel im Merchandising.» Die günstigen Stehplatz-Tickets sind also nicht nur eine rein soziale Massnahme, sondern entsprechen auch einer betriebswirtschaftlichen Logik. Ancillo Canepa bestätigt diesen Ansatz. Man sei sehr darauf bedacht, dass man die Tickets in der Südkurve möglichst günstig anbiete: «Man kann nicht einfach annehmen, die Zahlungsbereitschaft sei wahrscheinlich höher und darum die Preise anheben.» Er spricht von einem «extrem sensiblen Bereich». Schliesslich steht ein grosser Teil der Zuschauer – nicht nur beim FCZ – hinter dem Tor. Mit dieser Klientel will man es sich nicht verscherzen.
Die Fans wissen um ihre starke Verhandlungsposition und machen davon auch regelmässig Gebrauch. Anfang 2014 haben sich mehrere Schweizer Kurven zusammen für einheitliche Tarife in den Gästesektoren starkgemacht. Kritisiert wurde vor allem, dass die Heimfans weniger bezahlen und – im Gegensatz zum Gästeblock – von Ermässigungen profitieren. Um ein Zeichen zu setzen, blieben etwa die St. Galler Fans den Spielen in Aarau (27 Franken) oder Luzern (28 Franken) fern. Die Proteste zeigten Wirkung. Die Liga plafonierte im Sommer 2015 die Preise für Gästefans auf 25 Franken für Erwachsene und 20 Franken für Lehrlinge/Studenten sowie IV/AHV-Bezüger.
Massiver Preisanstieg
Von diesen jüngsten Entwicklungen profitieren aber längst nicht alle Stadionbesucher. Auch Dominik bevorzugt mittlerweile einen bequemen Sitz mit akzeptabler Sicht aufs Geschehen. Und er, der schon seit Urzeiten regelmässig Fussballspiele besucht, kann sich ganz einfach nicht vorstellen, dass er dafür schon immer ein halbes Vermögen ausgab. Gedankenverloren stürmt er in die Wohnung, verschwindet, ohne die Familie zu begrüssen, in seinem Arbeitszimmer und kramt die Schachtel mit seinen Fussballerinnerungen hervor. Nach kurzem Wühlen durch Autogrammkarten und Wimpel hält er sie triumphierend hoch, die alten Tickets. 1991, GC – Servette im Hardturm, Sitzplatz für 15 Franken! 1996, Stehplatz – man war noch jung gewesen – St.Gallen – Basel für 16 Franken! Lausanne – FCZ im eiskalten Februar 2001, 25 Franken für einen Topplatz auf der Tribüne!
Dominik fühlt sich gerade, als sei er einer umfassend angelegten Verschwörung auf die Spur gekommen. Doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuss, den er sich damals in der Pontaise fast abgefroren hat. War nicht alles viel teurer geworden? Die Wohnung, das morgendliche Gipfeli und die 10er-Mocken? Die Inflation, man kennt es ja. Vielleicht entpuppt sich sein kurzer Ausflug ins Reich der Empörung also als ganz und gar unangebracht.
Wenn man einzig von der Inflation ausgeht, müsste eine Saisonkarte auf der Gegentribüne heute 513 Franken kosten. Tatsächlich ist der Preis aber nahezu ein Drittel höher!
Das verlangt nach einer eingehenden Prüfung. Blenden wir dafür etwas zurück: In der wenig ruhmreichen Saison 1994/95 konnte ein FCZ-Fan für 220 Franken alle Heimspiele auf den Stehplätzen verfolgen, die Saisonkarte auf der Gegentribüne auf Höhe Mittellinie gab es für 450 Franken. Wenn man einzig von der Inflation ausgeht, müssten die gleichen Abos heute 249 respektive 513 Franken kosten. Tatsächlich sind die Preise aber nahezu ein Drittel höher! Ähnliche Werte erreichen auch die anderen untersuchten Vereine FC St. Gallen und FC Basel. Fussball ist im Vergleich mit den restlichen Lebenskosten massiv teurer geworden. Also doch!
Keine Stars mehr, viel höhere Preise, viel mehr Zuschauer
Professor Fischer hat dafür eine Erklärung: «Studien zeigen, dass sämtliche Freizeitangebote überproportional teurer geworden sind.» Man muss also nicht nur für einen Fussballmatch, sondern auch für den Kino- oder Konzertbesuch, fürs Restaurant oder für die Tageskarte im Skigebiet deutlich tiefer in die Tasche greifen. Es sei ein Trend, sagt Fischer, dass man sich heute in der Freizeit eher etwas gönnen möchte, wo der Stress und die Hektik im Beruf tendenziell zugenommen hätten. Tatsächlich sind die Zuschauerzahlen im Fussball in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen. In der NLA-Saison 93/94 lockte ein Spiel gerade einmal 5500 Zuschauer in die Stadien, obwohl man damals Weltstars wie Giovane Elber oder Sonny Anderson bestaunen konnte. Heute liegt der Schnitt bei rund 11’000. Die Folge einer derart gesteigerten Nachfrage ist klar: höhere Preise.
Der Schweizer Stadionbesucher sieht heute selten mehr Kicker von Weltruhm, sondern mehrheitlich junge, hochtrainierte Talente ohne Leistungsausweis. Dennoch ist er anscheinend bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Fussball auch massiv weiterentwickelt. In jeder Liga würde der Abstiegskandidat von heute den Meister von damals vom Platz fegen. Die Professionalität von Klubs und Spielern ist sprunghaft angestiegen, damit verbunden sind natürlich deutlich höhere Kosten. Es braucht Jugendakademien, Trainingsplätze, Ausbildner, Scouts, grosse Kader. Nur mit einem nachhaltigen Konzept kann sich ein Verein überhaupt in der Liga halten. Das ist sicher vernünftig, nur sieht der Schweizer Stadionbesucher so selten mehr Kicker von Weltruhm, sondern mehrheitlich junge, hochtrainierte Talente ohne Leistungsausweis. Dennoch ist er anscheinend bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen.
Doch es sind nicht die Kosten für die Ausbildung der Jugendspieler, die Klubs bei der Rechtfertigung ihrer Ticketpreise ins Feld führen. Es ist auch nicht der teure Transfer des neuen Superstürmers. Der meistgenannte Grund sind die höheren Sicherheitskosten. Tatsächlich sind diese in den letzten Jahren aufgrund der neuen Auflagen empfindlich gestiegen. Sie sorgen vielerorts dafür, dass Heimspiele eben nicht länger ein äusserst einträgliches Geschäft sind. Die Kosten variieren dabei stark: Bei den Young Boys sind es 1,30 Franken pro Zuschauer, in Luzern bis zu 5,30 Franken.
Dass die Klubs dennoch nicht an der Preisschraube drehen, hängt wohl vor allem damit zusammen, dass die letzte deutliche Erhöhung noch nicht lange her ist. Ausser dem FC Sion und FC Lugano spielt nämlich kein Super-League-Klub mehr im gleichen Stadion wie vor 20 Jahren. Und der Umzug in eine neue Heimstätte war stets mit einer deutlichen Erhöhung der Ticketpreise verbunden – mit Ausnahme des FC St. Gallen, der die Eröffnung allerdings in der Challenge League begehen musste. In Luzern beispielsweise wurden die Preise beim Umzug in die Swissporarena um etwa 20 Prozent angehoben. Nicht überall wurde der sprunghafte Anstieg schweigend hingenommen. Im alten Letzigrund konnte der Südkurven-Fan noch für 210 Franken die Meistersaison 2005/06 erleben, nach dem Umbau kostete seine Saisonkarte plötzlich 450 Franken. Ancillo Canepa kommentiert die etwas voreilige Preisverdoppelung so: «Wir kamen aus einem alten Stadion. Das neue bot einiges mehr an Komfort, dementsprechend haben wir auch die Preise angesetzt. Wir haben uns dabei an anderen neuen Stadien orientiert.» Es folgten jedoch Proteste und die Preise wurden eifrig austariert: Zwei Jahre später war man bei 290 Franken angelangt.
Trotzdem ist dieser neue Komfort – schnellerer Einlass, bessere Sicht, besser windgeschützt, bessere Verpflegung – den Fans einiges wert. Sie bezahlen bereitwillig einen Batzen mehr und erscheinen auch zahlreicher. Nur: Ein neues Stadion zu bauen, das ist gerade in der Schweiz mit ungeheuren Kosten verbunden. Löhne und Bodenpreise gehören zu den höchsten überhaupt. Kein Wunder also sind die Baukosten in der Schweiz so hoch wie nirgends auf der Welt. Bei der Luzerner Swissporarena beliefen sich diese auf 80 Millionen Franken, das fast gleichzeitig fertiggestellte und vergleichbar grosse Stadion in Ingolstadt wurde für einen Viertel davon errichtet. Egal, welches Finanzierungsmodell eine neue Spielstätte hat: Auch die Klubs müssen ihren Beitrag dazu leisten, die Kosten wieder einzuspielen. Und das geht vor allem über die Ticketpreise.
Preislicher Einheitsbrei
Wer nun aber glaubt, er könne zum Schnäppchenjäger auf Fussballpfaden werden, indem er nur noch alte Stadien besucht, der wird enttäuscht. Im Tourbillon, Baujahr 1968, sind die sanitären Einrichtungen bescheiden, es gibt weder geräumige Logen noch eine Rasenheizung. Christian Constantin bezahlt im Vergleich mit den Klubs in den grossen Städten nur einen Bruchteil an Sicherheitskosten und Stadionmiete. Trotzdem hat der FC Sion die Preise schleichend an jenen der Konkurrenz mit ihren neuen Tempeln angepasst. In der Super League hat also nicht das einzelne Angebot von Gebotenem und Komfort einen Wert, sondern das Produkt Fussball an sich. Die Preise in unseren Stadien liegen so nahe beieinander, dass man von einem «Liga-Preis» sprechen kann. Dies ist indes keine schweizerische Eigenheit. Auch in den ausländischen Meisterschaften gleichen sich die Tarife – abgesehen von einigen Ausreissern nach oben wie Real und Barcelona in Spanien oder Arsenal und Chelsea in England – einander an.
Eine weitere Ernüchterung für unseren Fussballfreund Dominik, der mit seinem starken Hang zur Nostalgie noch so gerne ein paar Fränkli gespart hätte. Bei diesem preislichen Einheitsbrei stellte er sich aber doch die Frage, ob er wirklich weiterhin gewillt ist, für Partien zwischen mediokren Mannschaften einen derart hohen Betrag zu bezahlen. Einmal mehr beneidet er die Bundesliga, die doch so darauf bedacht ist, die Eintrittspreise für jeden erschwinglich zu halten, obwohl stets Hochklassiges zu sehen ist. Als kürzlich Dortmund-Fans für Aufsehen sorgten, indem sie die ersten 20 Minuten des Pokalspiels in Stuttgart mit einem Stimmungsboykott belegten, entlockte das auch bei Dominik nur ein Schmunzeln. Den BVB-Anhängern waren selbst die 19.50 Euro für einen Stehplatz entschieden zu viel gewesen. Für diesen Betrag kann man hier nur Challenge League schauen.
«Jeder Platz, der im Stadion frei bleibt, ist verlorenes Geld.»
Wie auch in der Schweiz macht es auch in Deutschland finanziell einen grossen Unterschied, wo im Stadion man seinen Platz haben will. Je besser die Sicht, desto höher der Preis. Doch längst nicht überall ist die Differenz bedeutend. In England etwa kosten fast alle Plätze gleich viel (siehe Box). Marketing-Experte und Bayern-Fan Fischer hält das deutsche und schweizerische Modell für deutlich gelungener. Man stelle so eben sicher, dass jene Fans ins Stadion kommen, die sich am stärksten mit dem Klub identifizieren. Verbesserungspotenzial sieht er dennoch: Mit einer besseren Vermarktung des Stadionerlebnisses etwa, wo die Fans stärker einbezogen werden, könne man neue Zielgruppen erschliessen – ohne dabei in amerikanische Verhältnisse abzudriften. Seiner Ansicht nach sollten die Klubs noch mehr daran setzen, das Stadion besser zu füllen. Denn: «Jeder Platz, der frei bleibt, ist verlorenes Geld.» Fischer sähe Potenzial, indem man wie die Fluggesellschaften das sogenannte Yield-Management anwende: Wer sich zwei Monate im Voraus auf einen Matchbesuch festlegt, bezahlt deutlich weniger. Diese Idee kennt man bei den Super-League-Klubs bereits. Umgesetzt wird sie bislang noch nirgends. Nicht nur beim FC Zürich gilt, was Ancillo Canepa so formuliert: «Unsere Priorität ist es, möglichst viele Saisonkarten zu verkaufen. Dort bieten wir schon heute einen Rabatt für jene, die früh zugreifen.»
Dominik, der stets ohne Herzensklub geblieben ist, aber einfach den Sport wahnsinnig mag, wird sich kaum je eine Saisonkarte kaufen. Und mit den vielen Stadionbesuchen ist jetzt ohnehin Schluss, hat er beschlossen. Sie reissen einfach ein zu grosses Loch in die Kasse. Er ist gerade dabei, Ferienangebote zu studieren, die ihm deutlich mehr zusagen als jene Pauschalreise in die Türkei – da summt sein Handy. Einer seiner Fussballfreunde. Ob er nicht mitkommen wolle heute. YB – Luzern. Dominiks Widerstand hält nicht lange. Unter Protest, wie er festgehalten haben will, löst er an der Tageskasse ein nicht gerade günstiges Tribünenticket und verkürzt dafür in Gedanken den geplanten Urlaub um zwei Tage. Mürrisch verfolgt er den höchst bescheidenen Kick, nippt lustlos an seinem Bier. Dann verziehen sich die Wolken, seine Laune erhellt sich wie der Himmel. Als die Partie in der zweiten Halbzeit Fahrt aufnimmt, ist er bei den aufregenden Szenen schon wieder mittendrin und überbrückt mit seinem Freund die lauen Phasen mit Fachsimpelei und nostalgischen Ausflügen. Dass Dominik nach dem Spiel schon wieder den Bankomaten aufsuchen wird, interessiert ihn in diesem Moment nicht. Er muss es sich jetzt doch wieder eingestehen: Es gibt halt eben doch nichts Vergleichbares mit einem Match im Stadion.
Schweizer Fans sind gut bedient
Die Bundesliga wird zurecht viel und oft gerühmt für ihre nachsichtige Preispolitik. Jedem wird die Möglichkeit gegeben, ins Stadion zu kommen. Ein Stehplatz kostet im Schnitt 16 Euro. Das ist deutlich weniger als in Spanien oder England, wo die dargebotene Kost ähnlich gut schmeckt. Sogar in der Super League kosten die günstigsten Tickets mehr als bei den nördlichen Nachbarn.
Deutlich anders fällt das Fazit des internationalen Vergleichs aber aus, wenn man die Kaufkraft der jeweiligen Länder berücksichtigt. Es ist hinlänglich bekannt: Ein Coiffeur verdient in der Schweiz deutlich mehr als in Deutschland, ein Fotograf wird besser bezahlt als in England. Zwar kostet die Wohnung oder die Milch hierzulande auch mehr, aber dennoch: Schweizer können sich von ihrem Lohn mehr leisten. Das kann man auch an den Ticketpreisen ablesen. Dem deutschen Fussballfan zehrt ein Matchbesuch mehr am Budget als dem schweizerischen. Das betrifft den Stehplatz und erst recht die Sitzplätze.
Noch härter trifft es die Spanier. Sie müssen doppelt so lange arbeiten wie die Schweizer und auch länger als die Engländer, um sich den Stadionbesuch finanzieren zu können. Proteste dagegen gibt es immer wieder vereinzelte, doch sie bleiben ohne Erfolg. Auf der Insel dagegen nimmt der Widerstand langsam Form an. In Liverpool verliessen kürzlich Tausende von Fans das Stadion, um gegen die geplante massive Verteuerung einiger Tribünenplätze – von 56 auf 77 Pfund – zu protestieren. Diese Aktion war darum beachtlich, weil diese Verteuerung lediglich die besten Plätze im Stadion überhaupt betrifft. Das aktuell teuerste Ticket kostet kaufkraftbereinigt immer noch weniger als beim Zürcher Derby auf der Tribüne. Und immerhin sähe man dafür ja ein Duell zwischen Coutinho und Mesut Özil statt zwischen Cédric Brunner und Jan Bamert.
Vergleicht man nur die Tribünenplätze unter Berücksichtigung der Löhne, so liegen die obersten Ligen in Deutschland, Spanien und England sehr nahe beieinander. Die nationalen Unterschiede zeigen sich aber deutlich, zieht man die billigsten Plätze hinzu. Die meisten britischen Klubs machen hier preislich kaum Unterschiede. Bei Newcastle, Watford und Swansea kostet ein Sitz hinter dem Tor genau gleich viel wie der beste auf der Gegentribüne. Der Gegenentwurf zu diesem Modell ist die Bundesliga. Dort bezahlt man auf der Tribüne im Schnitt drei Mal so viel wie in der Kurve. In der Schweiz ist es immerhin mehr als das Doppelte.