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René Weiler

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«Sagt man die Wahrheit, kriegt man dafür aufs Dach»

René Weiler vollbrachte mit dem FC Aarau Erstaunliches. Doch er verliess das gemachte Nest und führte den 1. FC Nürnberg trotz seines nervösen Umfelds auf einen Relegationsplatz. In ZWÖLF #52 redete er über die Einflussnahme von Agenten, die Morddrohung in St. Gallen und den schweren Stand der Ehrlichkeit.

Interview: Nicola Berger / Fotos: Alex Pusch

Es ist ein trüber Freitag im November, und René Weiler, 42, sitzt in einem Café nahe dem Nürnberger Christkindlmarkt. Seit einem Jahr firmiert der Winterthurer inzwischen als Trainer im 1. FC Nürnberg, diesem fränkischen Traditionsklub, der zwar seit 2014 in der zweiten Liga verharrt, in der Eigenwahrnehmung aber unverändert zu den Granden des deutschen Fussballs gehört. Wegen seines Umfelds wird der Club als Schlangengrube referenziert – ruhiges Arbeiten, heisst es, sei am Valznerweiher unmöglich. Seit der heutige Wolfsburg-Trainer Dieter Hecking im Dezember 2012 nach Wolfsburg weiterzog, waren fünf verschiedene Trainer im Amt. Bei manchen in der Branche sorgt ein so fragiles Gebilde für einen natürlichen Abwehrreflex – der frühere Basel-Coach Christian Gross etwa erteilte dem Verein im Herbst 2013 eine Absage.

Weiler dagegen haben die Schauergeschichten nicht abgeschreckt, im Gegenteil – es scheint, als begreife er sie als Ansporn. Das sagt eine ganze Menge über Weiler aus, diesen geistreichen Ehrgeizling, der hierzulande für reichlich Aufsehen gesorgt hat in den letzten Jahren. Im FC Aarau reifte er zwischen 2011 und 2014 zu so etwas wie dem Schweizer Aushängeschild einer Gilde moderner, unverbrauchter Trainer, die im europäischen Fussball ja gerade sehr en vogue sind.

Man traute Weiler nach seinem freiwilligen Abgang in Aarau einiges zu. Die Übernahme eines Topklubs in der Super League beispielsweise aber – noch klappte es damit nicht. Vielleicht, weil die Entscheidungsträger Weiler den Sprung vom beschaulichen Aarau zu einer der führenden Organisationen noch nicht zutrauten. Oder darum, weil Weiler ein unbequemer Arbeitnehmer sein kann: Um Konventionen schert er sich wenig, und seine fordernde, akribische, selbstsichere Art mag bei alteingesessenen Funktionären Irritationen hervorrufen. Aber letztlich lässt sich über Weiler vor allem das festhalten: Er ordnet dem Erfolg alles unter.

In Nürnberg haben sie sich auf das Experiment eingelassen und den Schritt bisher nicht bereut. Bei den Fans ist Weiler beliebt, er lässt attraktiven Fussball spielen und punktet mit Realismus. Die Frage ist, wohin der Weg führen wird für Nürnberg – und für den Trainer, von dem man weiss, dass er mit seiner Arbeit auch anderswo Begehrlichkeiten weckt. Doch bislang scheint es so, als würde das passen zwischen Weiler und dem FCN; die Liaison wirkt wie eine Art Zweckgemeinschaft zweier Parteien, die sich in einem Punkt sicher einig sind: dass sie auf Dauer nicht in die Zweite Bundesliga gehören.

 

René Weiler, wie bist du eigentlich Trainer im 1. FC Nürnberg geworden?
Wie meinst du das?

Du hast ein Linkedin-Profil. Bewirbt man sich als Coach heute per Internet?
Nein, im Fussball habe ich mich noch nie beworben. Es gibt vielleicht Trainer, die das machen, aber ich käme mir seltsam vor. Was sagt man da? «Hallo, hier ist der René Weiler, ihr habt doch eine freie Stelle?» Das passt nicht zu mir. Andererseits hatte ich bis anhin das Privileg, nie lange arbeitslos zu sein, vielleicht wäre es sonst anders. Den Kontakt zu Nürnberg jedenfalls stellte ein Mittelsmann her.

Ein Agent?
Ja, aber nicht ein Berater im klassischen Sinne. Ich arbeite mit einer Agentur zusammen, die im Falle eines Vertragsabschlusses eine Provision erhält. Das geschieht auf Mandatsbasis. Ich würde nicht irgendwo einen Vertrag abschliessen und mich in eine Abhängigkeit begeben wollen.

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Es ist unglaublich, welche Gründe es hat, dass Spieler X verpflichtet wird.

Solche Berührungsängste kennen im Fussball nicht alle.
Ja, und das ist ein Problem. Es ist schon unglaublich, wer sich so alles im Fussball tummelt, wer bei Transfers zum Teil mitverdient und welche Gründe es hat, dass Spieler X verpflichtet wird. Es ist manchmal ein schmutziges Geschäft, und teilweise wird dreist agiert. Doch heutzutage ist das ja leider eigentlich fast überall der Fall, wo es um viel Geld und Prestige geht.

Wie oft passiert es, dass Agenten Einfluss zu nehmen versuchen?
Das kommt immer wieder vor. Und meine Antwort ist eigentlich immer die gleiche: «Aha, Ihr Spieler sollte auf einer anderen Position eingesetzt werden? Interessant. Aber sagen Sie das doch bitte direkt dem Präsidenten, ich bin als Trainer ja offensichtlich eine Fehlbesetzung.» In der Regel taucht die Person dann kein zweites Mal mehr auf. Aber die Berater sind ja nicht die Einzigen, die über alles Bescheid zu wissen meinen. Es gibt auch noch viele andere Anspruchsgruppen: die Fans, die Journalisten, die Sponsoren und so weiter.

Apropos Sponsoren: Während deiner Zeit als Sportchef bei St. Gallen hast du dich am Lokalfürsten Edgar Oehler gerieben. Der Zwist gipfelte in seinem in vielerlei Hinsicht despektierlichen Spruch, du würdest höchstens zur Sekretärin genügen.
Herr Oehler scheint etwas von der Wirtschaft zu verstehen, sonst hätte er es nicht zu so viel Wohlstand gebracht. Aber muss ich mit ihm wirklich über Fussball diskutieren? Ich habe ihn gefragt, ob er auch einmal irgendwo gespielt habe. Hat er nicht. Natürlich darf er seine Meinung haben, aber ich beschäftige mich jeden Tag mit Fussball, das ist mein Job. Ich persönlich erteile beispielsweise dem Zahnarzt auch keine Anweisungen, wenn ich zu einer Untersuchung muss.

Macht das nicht auch die Faszination des Fussballs aus: dass jeder sich einbildet, mitreden zu können?
Doch, natürlich. Aber manchmal staune ich schon. In den letzten Monaten wollten ständig Leute mit mir über Sepp Blatter reden, weil er halt auch Schweizer ist. Ich habe jeweils einfach zugehört. Ich kann nicht viel über ihn sagen, weil ich ihn nur flüchtig kenne. Aber offensichtlich wissen alle anderen Menschen sehr genau über ihn Bescheid: Er sei ein korrupter, verlogener Gauner. Natürlich hat ihn nie jemand von denen persönlich getroffen. Aber trotzdem hat sich jeder sein Bild von ihm gemalt.

Du hast selber Kommunikation studiert. Wie beurteilst du generell die mediale Berichterstattung im Fussball?
Ich muss vorausschicken: Artikel über meinen eigenen Verein lese ich eigentlich nicht. Aber natürlich: Gerade negative Texte werden auch so an einen herangetragen. Klar ärgert man sich da manchmal. Woran ich mich aber stosse, ist, dass kaum noch eine Analyse stattfindet. Ich habe das auch in der Schweiz erlebt. Verliert man, sagt irgendein Experte zum Beispiel, das Team müsse aggressiver spielen. Was ist das für eine Aussage? Was bringt es, wenn wir zehn Gelbe Karten holen? Das ist inhaltsloses Geplauder. Mir scheint, dass nicht alle Journalisten sich bewusst sind, über wie viel Macht sie verfügen. Würde einer schreiben: Der Weiler hat ein Alkoholproblem, dann kann ich das noch zwanzig Mal dementieren, die Sache würde trotzdem weiter in der Luft hängen. Solche Beispiele gibt es immer wieder. Es wird manipuliert, und teilweise werden Sachen frei erfunden. Das hat etwas Ermüdendes.

Als Trainer kann man sich dem Pingpong mit den Journalisten nicht gänzlich entziehen.
Es gehört zum Geschäft, ja. Und ich habe auch kein Problem damit, ich kenne die Spielregeln. Und es gibt ja auch viele Journalisten, welche sich nicht einlullen lassen und einen objektiven wie fairen Umgang pflegen.

Andererseits kann man sich die offiziellen Medientermine eigentlich schenken. Es gibt ja doch jeder nur die immer gleichen Phrasen von sich.
Das würde ich so unterschreiben. Aber so ist leider die Entwicklung. Denn sagt man die Wahrheit, kriegt man dafür auch mal aufs Dach. Wenn ich einen Spieler auf die Tribüne setze, kann ich sagen: Das hatte taktische Gründe. Oder ich kann sagen: Die Qualität reicht halt einfach nicht, er trainiert schlecht und hat Übergewicht. Persönlich sind mir brutale Wahrheiten lieber als tröstende Lügen. Aber die Gepflogenheiten sind halt tendenziell anders, es würde zu viel Unruhe auslösen.

Aber verliert der Fussball nicht seine persönliche Note, wenn jede Aussage austauschbar ist und alles zum Einheitsbrei verkommt?
Doch, es gibt ja auch kaum noch Originale. Ich bedaure das, aber so ist eben der Lauf der Zeit. Das System lässt Extravaganzen gar nicht mehr zu. Wer sich nicht anpasst, fliegt schon auf Nachwuchsstufe raus.

Dem Ego jener, die es schaffen, scheint das keinen Abbruch zu tun. Ihr Kader in Nürnberg umfasst 28 Spieler. Wie schafft man es, alle einigermassen bei Laune zu halten?
Ich beobachte schon, dass die heutige Generation in der Tendenz weniger Resistenz gegen Widerstände an den Tag legt. Ich spiele nicht, also beschwere ich mich. Was soll das für eine Einstellung sein? Ich kann elf Mann aufstellen und drei Spieler einwechseln. Der Rest erhält Lohn dafür, dass er bestmöglich trainiert und selbst alles dafür tut, um sich für die Auswahl dieser vierzehn Mann zu qualifizieren. Es gibt Schlimmeres im Leben.

Als Trainer sagt sich das leicht. Wie bringt man es dem Spieler bei?
Ich benutze oft Rollenspiele. Es hilft, wenn man sich in die Situation eines anderen versetzt. Es geht auch darum, dass die Spieler begreifen, dass sich nicht alles nur um sie dreht und dass die Gemeinschaft im Vordergrund steht und dass die Scheinwelt des Profifussballs nicht alles ist. Zudem schadet Demut nicht. Dazu braucht man nur die Augen zu öffnen und Menschen zu beobachten, welche nicht vom Glück gesegnet sind. Ich selber musste das wegen eines Todesfalls in der Familie früh lernen.

Wie deutlich wirst du, wenn diese Grundsätze nicht verstanden werden?
Ich kann schon direkt sein.

Du hast einmal gesagt, Diplomatie sei der erste Schritt zur Lüge. Musstest du trotzdem lernen, taktischer vorzugehen?
Schon, ja, zumindest in der Aussendarstellung. Ich muss nicht immer das letzte Wort haben und sagen: Du hast keine Ahnung. Ich kann es manchmal auch einfach nur denken.

Es gibt Leute, die würden solche Sätze als Arroganz auslegen.
Ja, die gab es immer. Es kümmert mich eigentlich wenig. Zum einen, weil ich gelernt habe, dass man es sowieso nicht allen recht machen kann. Und dann auch darum, weil es einfach nicht stimmt. Ich habe ein gesundes Selbstvertrauen, das ist ein Unterschied. Jeder Mensch braucht das Vertrauen in sich und sein Wirken, anders geht es auch gar nicht. Wenn ich nicht an mich glaube, wie sollen es dann die Spieler tun?

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Mein Abschied aus Aarau war vor allem eines: ehrlich

Überheblichkeit wurde dir auch vorgeworfen, als du im Sommer 2014 den FC Aarau trotz laufendem Vertrag verlassen hast.
Jeder kann das so nennen, wie er gerne möchte. Für mich war es vor allem eines: ehrlich. Mein Vertrag in Aarau lief noch zwei Jahre. Ich hätte auch einfach halbherzig weitermachen, auf eine mögliche Entlassung hinarbeiten und dann die Abfindung einstreichen können. Aber so funktioniere ich nicht. Ich spürte, dass mit Aarau in der damaligen Konstellation das Ende der Fahnenstange erreicht war. Ich vermisste die Bereitschaft der Führung, den nächsten Schritt zu wagen, vielleicht die Europacup-Plätze anzugreifen. Ich werfe das niemandem vor, aber ich musste für mich die Konsequenzen ziehen.

Auch als du 2011 von Schaffhausen nach Aarau gewechselt hast, war der Abgang abrupt.
Das war er, ja. Aber ich sah die Chance, in Aarau etwas zu bewegen. Der Klub war damals Drittletzter und wollte Raimondo Ponte aus Chiasso holen. Der fürchtete sich aber vor dem harten Restprogramm und sagte ab, so wurde der Weg frei für mich. Ich muss mir nichts vorwerfen, in Schaffhausen hinterliess ich ein intaktes Team.

Was war im Sommer 2014 mit Basel?
Mein Entscheid hatte in keiner Weise damit zu tun, dass jene Stelle frei wurde. Mir wurde das vom Boulevard dann so ausgelegt, weil ich sagte, dass ich den nächsten Schritt machen möchte. Was hätte ich denn sonst sagen sollen? Dass ich am liebsten in die Challenge League wechseln würde? Als der FCB dann Paulo Sousa holte, wurde geschrieben, ich hätte mich verspekuliert, was Humbug ist. Ich nutzte die Zeit auch, um endlich meinen Master in Kommunikation abzuschliessen.

Hätte dich ein anderer Klub in der Schweiz überhaupt noch gereizt? Oder kann man angesichts der Überlegenheit des FCB bei einem Konkurrenten sowieso nur verlieren?
Das würde ich nicht so formulieren. Sicher: Es ist momentan fast unmöglich, Basel zu Fall zu bringen. Diese erdrückende Dominanz ist nicht förderlich für den Schweizer Fussball. Aber andererseits ist das doch auch eine Herausforderung: Trainer jener Mannschaft zu sein, die den Serienmeister vom Sockel stürzt.

Hast du einen Karriereplan?
Nein. Und aus meiner Sicht würde das auch wenig Sinn machen. Der Fussball ist unberechenbar. Als Trainer schadet eine Prise Fatalismus nicht. Redet ein Präsident mit der Person A, will er mich vielleicht verpflichten. Aber womöglich trifft er an diesem Tag auf dem Weg zum Bahnhof die Person B, die mir nicht wohlgesinnt ist, und entscheidet sich dann gegen mich. Ich kann das nicht beeinflussen, darum halte ich mich damit auch nicht auf.

Als Spieler musstest du mit 28 Jahren verletzungsbedingt zurücktreten. Ist es ein Antrieb, als Coach jene Karriere nachzuholen, die dir einst verwehrt blieb?
Die Diagnose war damals ein Schock und hat mich Demut gelehrt. Aber nein, ich muss nichts nachholen und bin auch nicht karrieregeil. Meine Existenz hängt hoffentlich nicht davon ab, wie weit ich es als Trainer bringe. Selbstverständlich bin ich ehrgeizig und möchte Erfolg haben. Doch sollte es mittelfristig nicht klappen, könnte ich mir beispielsweise auch vorstellen, als Journalist zu arbeiten. Ich bin nicht so verbissen, dass es für mich nur den einen Weg gibt. Als Trainer will ich etwas weitergeben, klar, aber für mich geht es auch darum, selber etwas fürs Leben mitzunehmen. Abenteuer haben mich immer gereizt. Als ich 1994 zu Servette wechselte, konnten viele Leute das nicht verstehen, weil GC mehr Geld geboten hatte. Aber ich dachte: Wow, Genf! Gepflegter Fussball, Französisch lernen, eine andere Kultur. Darum hatte Nürnberg auch diese Strahlkraft auf mich. Es gab Leute, die rieten mir davon ab, die Stelle anzunehmen – der Klub sei ein Pulverfass, ein Hort der steten Unruhe. Aber mich hat das fasziniert. Es ist doch schön, in einer Region zu arbeiten, in der ein Verein so stark verankert ist. Wenn ich hier durch die Stadt laufe, sagen die Leute nicht: Da ist ja der Trainer vom Club. Sie sagen: Da ist unser Trainer.

So viel Verbundenheit kann auch ins Negative umschlagen. Du hast das erlebt, als du in St. Gallen eine Morddrohung erhalten hast.
Ja, das war 2007 nach dem Aus im Cup gegen Gossau. Ich habe das nicht wirklich ernst genommen. Hunde, die bellen, beissen nicht. Und spätestens mit den sozialen Medien bellen sie noch viel mehr als früher.

Wie hast du dich von der Entlassung in St. Gallen erholt?
Ich ging auf Weltreise. Es dauerte, bis ich die Geschehnisse verdaut hatte. Aber heute kann ich sagen, dass ich in und dank St. Gallen sehr viel fürs Leben gelernt habe.

Inwiefern?
Nehmen wir die Geschichte mit Oehler. Es gibt in jedem Klub gewisse Kräfte im Umfeld, die man nicht einfach ignorieren kann. Auch wenn man das vielleicht gerne würde.

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Denkt ernsthaft jemand, wer mit Bayern Meister geworden ist, würde das auch mit Darmstadt schaffen?

Damals warst du Sportchef, inzwischen bist du seit fast einem Jahrzehnt Trainer. In welcher Position kann man mehr Einfluss auf ein Team nehmen?
In der Kombination. Als Trainer kann man mit den Spielern individuell grosse Fortschritte erzielen. Aber andererseits kann auch der beste Coach einen mittelmässigen Fussballer nun mal nicht in einen zweiten Messi verwandeln. Das ist auch etwas, was mich irritiert: dass Trainer in kleineren Vereinen eine geringere Wertschätzung erfahren, nur weil sie keinen Titel holen oder logischerweise eher mal verlieren. Denkt ernsthaft jemand, ein Coach, der bei Bayern München oder Manchester City Meister geworden ist, würde das Gleiche auch mit Darmstadt oder Watford schaffen? Das ist doch absurd.

Könntest du heute überhaupt noch als Sportchef arbeiten?
Klar, wieso nicht?

Fände der Manager Weiler denn einen Trainer, der seinen Ansprüchen genügen würde?
Ja, es gibt – auch in der Schweiz – viele junge, aufstrebende Trainer. Irgendwann könnte diese Konstellation reizvoll sein. Klar ist: Der Trainer muss seine Wünsche plausibel äussern und das Team nach seinen Wünschen in Zusammenarbeit mit dem Sportchef verstärken können. Dafür braucht es eine nachvollziehbare Strategie.

Man sagt, in Nürnberg sei das bis zum Abgang des Sportdirektors Martin Bader nie der Fall gewesen.
Das möchte ich wirklich nicht mehr kommentieren.

In Aarau hattest du als Coach grossen Einfluss auf die Transferpolitik.
Ja, und uns sind da ein paar wunderbare Geschichten gelungen: Shkelzen Gashi, Silvan Widmer, Davide Callà. Diese Spieler haben eine erfreuliche Entwicklung genommen.

Bei wem hast du dich geirrt?
Das kommt immer wieder vor. Ich habe nicht die Illusion, unfehlbar zu sein. Aber ich würde schon sagen, dass ich in acht von zehn Fällen richtigliege.

Wann fiel der Entscheid, Trainer zu werden?
Ich habe diesen Posten nicht gesucht. Aber ich wollte ein Teil des Fussballgeschäfts bleiben, darum hat es sich so ergeben.

Dein Vater war Wirtschaftsfahnder bei der Polizei. Wie gross war sein Verständnis dafür, dass du dein Leben dem Fussball widmest?
Er war schon skeptisch und bestand darauf, dass ich meine Matura beende. Das war eine anstrengende Zeit. Aber rückblickend kann ich sagen: Es hat mir nicht geschadet.

Du spieltest in Winterthur einst mit den heutigen Trainern Carlos Bernegger, Joachim Löw, Axel Thoma und Giorgio Contini. Inwiefern hat dich das geprägt?
Am meisten habe ich von Löw mitgenommen. Nicht weil er heute Weltmeistertrainer ist. Sondern weil er auf dem Platz und in der Kabine eine echte Persönlichkeit war und sich getraute, seine Gedanken zu äussern. Das auch ohne Rücksicht auf eigene Verluste.

Du hattest auch prominente Trainer: Fringer, Knäbel, Challandes, Barberis.
Am wichtigsten für meine Entwicklung war Rolf Fringer. Er hatte eine feine Selbstironie und stand für einen raren Mix aus Locker- und Verbindlichkeit.

Fringer hat seine Trainerkarriere inzwischen beendet. Welche Qualitäten muss ein Coach heute mitbringen, um im Höher-schneller-weiter-Denken von heute bestehen zu können?
Ich bin davon überzeugt, dass das physische Potenzial bald ausgeschöpft sein wird. Können die Spieler immer noch schneller, kräftiger, durchsetzungsstärker werden? Vielleicht, aber nur noch marginal. Was das kognitive Denken angeht, stehen wir hingegen erst am Anfang der Entwicklung.

René Weiler

(*13.9.1973 in Winterthur)
Als Spieler:
1990-1993FC Winterthur (NLB)38 Spiele/2 Tore
1993-1994FC Aarau36/2
1994-1996Servette FC40/0
1996-1998FC Zürich35/4
1999-2001FC Winterthur (NLB)28/2
Länderspiele:
1997Schweiz1/0
Als Trainer:
2001-2015FC Winterhur (NLB, verschiedene Posten)
2005-2007FC St. Gallen (Sportchef)
2008-2009Grasshoppers U16
2009-2011FC Schaffhausen (ChL)
2011-2014FC Aarau (ChL und SL)
2015-1. Nürnberg (2. Bundesliga)