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Schweizerinnen im Ausland

Landflucht

Den Schweizer Fussballerinnen scheinen alle Türen offen zu stehen. Das Ausland lockt und damit: der Profivertrag. Doch das bringt die heimische Liga in Schwierigkeiten. Schuld daran ist ein Fehler im System. Ein Artikel aus ZWÖLF #68.

 

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Text: Martin Bieri / Illustration: Pia Valär

Die Pionierinnen des Schweizer Frauenfussballs hatten eine ganz simple Forderung: Sie wollten einfach Fussball spielen können. Dafür brauchte es lediglich Klubs, Plätze und einen Verband, der sich um die Organisation einer Meisterschaft kümmerte. Selbst als sich die Liga längst etabliert hatte, träumten die Frauen noch nicht einmal davon, Geld damit zu verdienen.

Franziska Schild hat diese Zeit noch erlebt. Um die Jahrtausendwende spielte sie für Rot-Schwarz Thun und Schwerzenbach, in der Nationalliga A hiessen die Gegnerinnen noch Seebach, Malters, Sursee, Bad Ragaz und Giubiasco, nicht FCZ, GC oder YB. Seit 2014 und noch bis Ende Jahr ist Schild beim SFV verantwortlich für den Frauenfussball. «Profifussball ist heute für talentierte junge Spielerinnen eine realistische Möglichkeit», sagt Schild, «für Jugendnationalspielerinnen ist es sogar ein Ziel.» An der Motivation habe sich nichts geändert, «der Spielerinnentyp, der es wirklich schafft, ist der gleiche wie früher.» Doch heute bedeutet «es schaffen» etwas anderes, das Umfeld hat sich verändert: Frauen können mit Fussball Geld verdienen. In der Schweiz allerdings nach wie vor nicht. Wer Profi werden will, muss raus, ins Ausland. Und das tun viele.

Diesen Sommer hat die Liga einen wahren Exodus erlebt. Fast eine ganze Equipe von jungen, gut ausgebildeten Spielerinnen hat die Schweiz verlassen, darunter die beiden Internationalen Luana Bühler (vom FCZ zu Hoffenheim) und Géraldine Reuteler (von Luzern nach Frankfurt). Es liegt auf der Hand: Die NLA ist eine Ausbildungsliga. Im Männerfussball reiben sich die Schweizer Klubverantwortlichen die Hände, wenn die grossen Ligen anklopfen. Bei den Frauen sieht das anders aus. Ganz anders. Besonders zu spüren bekommen hat das YB.

Kurz vor Saisonbeginn meldeten die YB-Frauen: Torhüterin Nicole Studer wechselt zu AGSM Verona, Marilena Widmer zum 1. FFC Frankfurt, Alisha Lehmann zu West Ham United, Francesca Calò zu Werder Bremen, Kim Dubs zu Penn State in die USA, Jennifer Oehrli zu Atlético Madrid und Camille Surdez zu Girondins Bordeaux. Vier dieser Spielerinnen wurden in Bern ausgebildet. Einige sind auf bestem Weg, regelmässige Nationalspielerinnen zu werden, die andern stehen unter Beobachtung. Wenn nun also Rolf Kirchhofer, der Technische Leiter der YB-Frauen, von den Ausbildungserfolgen seiner Abteilung erzählt und dafür Anerkennung und Lob erhält, muss er doch irgendwann die Frage beantworten, was der Klub denn nun für den ganzen Aufwand erhält: «Dann stehst du da und sagst: nichts. Nichts bekommen wir.»

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Francesca Calò wechselte im Sommer von YB zu Werder Bremen. Einnahmen bescheren solche Abgänge den Schweizer Klubs keine.

Keine Verträge, keine Transfers

Kirchhofer ist schon lange im Geschäft. 2011 ist er mit den YB-Frauen als Trainer Schweizer Meister geworden, zuletzt coachte er die U19-Juniorinnen zweimal zum Titel. Die Probleme, die sein Verein hat, sind ihm längst bekannt. Und doch lassen sie ihn immer wieder zweifeln. Er sieht die fragenden Blicke, das Unverständnis. Ist das nicht ein Fehler im System, der alles infrage stellt, wofür Menschen wie Kirchhofer im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit arbeiten? Den Frauenfussball voranzubringen, ihm Akzeptanz zu verschaffen und ihn auf eine tragfähige Grundlage zu stellen?

Eine ökonomische Säule des professionellen Fussballs ist das Transferwesen. Angestellte werden gehandelt, Ausbildung wird entschädigt. In der Schweiz lebt der Fussball so stark davon wie kaum anderswo. Bei einigen Klubs machen Ablösesummen die Hälfte des Budgets aus. Man kann von dem System halten, was man will. Einige bezeichnen es als Menschenhandel, andere als notwendiges Übel oder als Konsequenz des vollkommen kommerzialisierten Sports. Für die Vereine sind die Spieler, die sie hervorbringen, Werte. In ihnen stecken Jahre der Betreuung, das ganze Know-how, die Infrastruktur – oder die Raffinesse der Rekrutierung. Die Aktiven seien das Kapital der Vereine, so sagt man. Doch eigentlich sind sie die Arbeit. Sie verkörpern die Kompetenz eines Klubs.

Die Kalkulation der Vereine sieht vor, dass neben der Menge der Ausgebildeten, die es nie bis auf das höchste Niveau schaffen, eine kleine Zahl von Begabten ist, deren Wert den ganzen Aufwand finanziert. Um sich diesbezüglich abzusichern, binden die Vereine ihre Spieler mit Verträgen. Für Spielerinnen gilt das nicht. Der Schweizer Frauenfussball ist ein Amateursport. Obwohl die Kickerinnen einen hohen Aufwand betreiben, verdienen sie offiziell nichts oder nur so wenig, dass sie nicht als Profis gelten. Ihre Schuhe bezahlen sie selbst, in manchen Klubs entrichten sie sogar einen Mitgliederbeitrag. 500 Franken im Monat zuzüglich sportbezogener Spesen wie Material oder Transportkosten, nicht aber Wohnungen dürften die Vereine den Spielerinnen maximal bezahlen. Was darüberliegt, bedarf eines Vertrages, der arbeitsrechtlich relevant ist und diverse Abgabepflichten nach sich zieht. Die Problematik ist aus dem Männerfussball unterhalb der beiden Profiligen gut bekannt.

In jeder Sommer- und Winterpause dürfen die Spielerinnen frei wechseln – und nicht selten sind diese auch wechselwillig. Denn es gibt keine Verpflichtungen, aus denen die Spielerinnen «herausgekauft» werden müssten.

Solche Verträge müssten beim Verband hinterlegt werden. Bis zur aktuellen Saison ist dies aber nach Auskunft von Franziska Schild nie geschehen, «obwohl wir vermuten, dass bei bestimmten Klubs Spielerinnen über der finanziellen Grenze lagen». In diesem Jahr nun hat Aufsteiger Servette-Chênois mehrere Profiverträge deponiert. Die restlichen Vereine haben ausschliesslich Vereinbarungen von Spesenvergütungen. Das bedeutet: In jeder Sommer- und Winterpause dürfen die Spielerinnen frei wechseln – und nicht selten sind diese auch wechselwillig. Denn es gibt keine Verpflichtungen, aus denen die Spielerinnen «herausgekauft» werden müssten. Wer weg will, kann weg.

Die Klubs versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie den Spielerinnen Leistungen bieten, die sie biografisch an das Vereinsumfeld binden. Der Sponsor des FC Neunkirch, 2017 Schweizer Meister und Cupsieger, stellte die Spielerinnen etwa im Unternehmen des Sponsors an, was nicht verhinderte, dass das Team zu teuer war, weshalb sich der Verein unterdessen aus dem Spitzensport zurückgezogen hat. Andere Klubs stellen ihren Talenten Ausbildungsplätze innerhalb des eigenen Betriebs zur Verfügung, etwa auf der Geschäftsstelle, oder hoffen darauf, der Freundeskreis möge eine Spielerin zum Bleiben bewegen.

In einem Teufelskreis

Wenn Transfererträge fehlen, gibt es auch keinen Solidaritätsmechanismus, der laut dem FIFA-Reglement Transferbeteiligungen für die Ausbildungsvereine vorsieht. Diese Bestimmungen legen auch fest, dass ein Klub Anrecht auf eine Entschädigung hat, wenn ein von ihm ausgebildeter Spieler den ersten Profivertrag unterschreibt oder vor seinem 23. Geburtstag den Klub wechselt. Doch der letzte Satz des sinnvollen Artikels 20 dieses Reglements lautet: «Die Grundsätze der Ausbildungsentschädigung gelten nicht für den Frauenfussball.»

Rolf Kirchhofer sieht die Vereine in einem Teufelskreis: «Wenn wir keine Ausbildungsentschädigungen bekommen, können wir den Spielerinnen keine Verträge geben. Und wenn wir ihnen keine Verträge geben, erhalten wir keine Transfererlöse.» Das gibt in der Summe eben: nichts. Die Schweizer Frauenklubs fallen zwischen Stuhl und Bank. Das Problem ist so offensichtlich, dass es schon wieder leichtfällt, darüber hinwegzusehen. Franziska Schild deutet an, der Weltverband sei sich des Elefanten im Raum bewusst. Ob und wie er ihn dort aber rausbringe, lasse sich im Moment nicht sagen. So können die Schweizer Klubs derzeit nur auf Goodwill hoffen. Als Lia Wälti 2013 von YB zu Turbine Potsdam wechselte, wurden die Bernerinnen als Gegenleistung an ein Hallenturnier nach Potsdam eingeladen. Kann sich eine Liga, die unter solchen Umständen Spielerinnen hervorbringt, wirklich Ausbildungsliga nennen? Oder ist das ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse?

Kann sich eine Liga, die unter solchen Umständen Spielerinnen hervorbringt, wirklich Ausbildungsliga nennen? Oder ist das ein Selbstbedienungsladen ohne Kasse?

In der Konsequenz heisst das: Die Vereine können mit den Frauen keine Einnahmen generieren. Denn auch Publikum und Sponsoren sind knapp. Bei NLA-Partien sind oft keine 100 Leute anwesend, die mediale Aufmerksamkeit für die Liga ist so gut wie nicht vorhanden. Der erhoffte Aufschwung lässt weiter auf sich warten, die Folgen sind Sparmassnahmen allerorts. Der FC Basel kürzte seine Auslagen für die Frauen um ein Drittel, verfügt aber vermutlich immer noch über das höchste Budget der Liga. Vor der Sparrunde wies der Geschäftsbericht Personalkosten von über einer Million Franken aus. Der amtierende Meister FC Zürich profitierte jahrelang von einem jährlichen Beitrag der FIFA von 150’000 Franken – der Weltverband hatte der Stadt 20 Millionen für den Bau eines Stadions zugesichert, stattdessen floss das Geld in den Breitensport –, nun ist diese Quelle versiegt. Nicht zuletzt deshalb reduzierten die FCZ-Frauen ihr Budget um 30 Prozent auf etwa eine halbe Million jährlich.

Der FC Luzern und YB haben ihre Budgetkürzungen bereits hinter sich. Bei beiden Klubs liess das Vorgehen der Verantwortlichen zwischenzeitlich Zweifel an der Weiterexistenz der Frauenabteilungen aufkommen. Die Spitzenteams sind ökonomisch auf ihre Männerklubs angewiesen, Fördervereine mindern diese Abhängigkeit nur geringfügig. In die Offensive gehen wenigstens Klubs in den anderen Landesteilen. Lugano hat sich seit dem Aufstieg 2015 in der NLA etabliert, nicht zuletzt dank des Engagements amerikanischer College-Spielerinnen. Und der diesjährige Aufsteiger Servette-Chênois hat aus der kürzlich vollzogenen Fusion der beiden Genfer Klubs so viel Schwung geholt, dass er es bereits bis in den Halbfinal des Cups geschafft hat.

Zu schnell nach oben

Die Liga droht personell auszubluten. Das wäre fatal für die Attraktivität der Meisterschaft, die unbedingt mehr Publikum braucht. Um dem Gefälle entgegenzuwirken, wurde die Liga 2017 auf acht Teams reduziert. Dieses Jahr erhielt sie ein angeblich zeitgemässes, einheitliches Branding mit dem Slogan «Ladies First». Damit soll endlich ein Ligasponsor gefunden werden. In den Augen mancher Klubverantwortlichen hat der Verband bisher zu viel für das Nationalteam getan – was «dringend nötig war», sagt Franziska Schild –, zu wenig jedoch für die Liga. Deshalb wird mancherorts die strukturelle Frage gestellt, ob die Liga beim Verband überhaupt gut aufgehoben ist – obwohl der Frauenfussball erst seit 25 Jahren dem SFV angeschlossen ist.

Um den Exodus an Talenten zu kompensieren, ist der Verband bemüht, Spielerinnen, die ihre Auslandkarriere beenden, «abzufangen», wie Schild sagt. Sie sollen zum Schluss ihrer Laufbahn in der Schweiz spielen, um ihre Erfahrungen weiter- und den Klubs etwas zurückzugeben. Rückkehrerinnen wie Martina Moser, Caroline Abbé oder Sandy Maendly tun der Liga gut. Auch das Engagement ausländischer Spielerinnen war dem Niveau zuträglich. Die Kehrseite: Die Durchlässigkeit von den Nachwuchsteams zu den Aktiven ist hoch. Trotz der guten Ausbildung gibt es so wenige Spielerinnen von Qualität, dass nur der FC Zürich eine U21-Equipe stellen kann. In den anderen Klubs führt der Weg von der U19 direkt in die NLA.

Eine talentierte Spielerin ist in der NLA rasch unterfordert, weil sie national kaum auf Widerstände stösst.

Der Athletinnenbetreuer Michi Lendi, der mit ehemaligen Funktionärskollegen mehrerer Vereine die Agentur Fairygoals betreibt, sagt zudem, eine talentierte Spielerin sei in der NLA rasch «unterfordert, weil sie national kaum auf Widerstände stösst». Das erzeuge bei vielen den Wunsch nach einem frühen Wechsel ins Ausland. Schliesslich sei der Aufwand auch für die hiesige Liga so gross, dass sich jede Spielerin bald die Frage nach dem Ertrag stellen müsse. Kommt dazu: Eine gut ausgebildete, geförderte Athletin hat mit 20 mehr Trainings, Lehrgänge und Ernstkämpfe in den Beinen als die Generationen vor ihr mit 25, vielleicht sogar am Ende ihrer Laufbahn. Das führt zu höheren Ansprüchen und zu Ungeduld.

Lendi betont, dass seine Agentur Fairygoals, die im Sommer in den Transfer von Francesca Calô zu Werder Bremen involviert war, kein kommerzielles Projekt sei. «Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich, Provisionen fallen keine an. Die Spielerinnen bezahlen für unsere Dienste auch nur einen symbolischen Betrag.» Lendis Team gehe es nur um das Wohl der Sportlerinnen und darum, im Schweizer Frauenfussball «den nächsten Entwicklungsschritt voranzutreiben». In den grossen Ligen sind Beraterfirmen mittlerweile Teil des Geschäfts. Ramona Bachmann und Alisha Lehmann arbeiten zum Beispiel mit dem deutschen Juristen Jenner Janzen zusammen, der die Agentur Champions führt und diverse deutsche und schwedische Spitzenspielerinnen unter Vertrag hat.

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Wie schnell sich Geldquellen im Frauenfussball erschliessen und versiegen, zeigt sich auch der Spitze: Chelsea ist für Ramona Bachmann bereits der fünfte Spitzenklub im Ausland.

Die Frauen sollten für Zaha zahlen

Weil der Wechsel ins Ausland theoretisch gleichbedeutend ist mit dem Schritt zum Profisport, sehnen ambitionierte Spielerinnen die Transfers spürbar herbei. Sie verbinden damit die Bestätigung, es wirklich geschafft, die Sperrzone «Randsportart» verlassen zu haben. Die beiden «Role Models» Lara Dickenmann und Ramona Bachmann, Vorreiterinnen der Professionalisierung und immer bei den besten Klubs der Welt engagiert, vermitteln allerdings ein trügerisches Bild. Zwar wird in den Frauenligen Englands, Frankreichs und Deutschlands professionell Fussball gespielt, das heisst aber nicht, dass sich damit alle eine goldene Nase verdienen würden.

Selbst in der aufstrebenden englischen Super League, in der alle elf Teams angehalten sind, ihre Spielerinnen als Profis anzustellen, sollen Monatslöhne von wenigen Hundert Pfund vorkommen. Angesichts einiger Ausreisserinnen sagt da das geschätzte durchschnittliche Jahreseinkommen von 34’000 Pfund wenig über die wahren Verhältnisse aus. Für Schlagzeilen sorgte jüngst der Fall des Zweitligisten Crystal Palace, der seinen Spielerinnen 250 Pfund Mitgliederbeitrag abknöpfen wollte und gleichzeitig den ivorischen Stürmer Wilfried Zaha für die Männermannschaft engagierte, mit einem Wochengehalt von 130’000 Pfund. Das war Zaha so peinlich, dass er einen «substanziellen finanziellen Beitrag» an die Amateurabteilung des Vereins überwies, wofür sich die Frauen über Twitter aufrichtig bedankten.  

Der Frauenfussball ist für viele Topklubs ein willkommenes Marketinginstrument und in dieser Form auch einträglich.

Dass England derzeit Traumziel vieler Fussballerinnen ist, ist dem verstärkten Engagement einzelner grosser Vereine wie Manchester City oder Chelsea, wo Ramona Bachmann unter Vertrag steht, geschuldet. Auch Manchester United hat in diesem Jahr nach langem Zögern ein Frauenteam aus der Taufe gehoben. Diese Entwicklung spiegelt sich auf dem Kontinent wider, wo Klubs wie PSG, Barcelona oder Bayern München ebenfalls vermehrt in den Frauenfussball investieren. Er ist für sie ein willkommenes Marketinginstrument und in dieser Form auch einträglich. In England ebenso wichtig ist die Förderung durch den nationalen Verband FA, der einen «Gameplan for Growth» aufgestellt und in den letzten vier Jahren 70 Millionen Franken in den Frauenfussball gesteckt hat. Einen grossen Posten machen dabei die direkten Lohnzahlungen an die Nationalspielerinnen durch die FA aus, was die Budgets der Klubs massiv entlastet. Sportlich hat sich diese Unterstützung bereits ausbezahlt: Sowohl bei der letzten EM als auch bei der letzten WM standen die «Lionesses» im Halbfinale.

Professionelle Langeweile

Trotz der neuen Möglichkeiten, die sich mancherorts bieten, sind sich Kirchhofer und Schild einig: Für die meisten Schweizer Spielerinnen bedeutet Ausland, selbst England, «geradeso durchkommen». Als Cinzia Zehnder 2015 als frischgebackene Maturantin vom FC Zürich zum SC Freiburg wechselte, verdiente sie im ersten Jahr keine 1000 Euro im Monat. Im zweiten Jahr war es zwar etwas mehr, ein echter Lebensunterhalt war es aber trotzdem nicht. In ihren Worten: «Es war ein bisschen knapp.» Deshalb jobbte sie nebenher in einem Café. Kam dazu: Zehnder wollte nicht nur Fussballerin sein. Sie peilte ein Medizinstudium an und versuchte eine Zeit lang, beides unter einen Hut zu bringen. Als sie realisierte, dass sie «nicht in beiden Bereichen mein Bestes» geben konnte, entschied sie sich zur Umkehr. Sie wechselte zurück zum FCZ und gab der Uni den Vorzug. Dass das Dasein als Profi nicht alle Spielerinnen zufriedenstellt, hört man nicht nur von Zehnder. Mehr als eine fühlt sich geistig unterfordert. Zehnder selbst spricht davon, dass das, was sich erst angefühlt habe wie Ferien, schnell zu Langeweile geworden sei.

Anderen kann es nicht schnell genug gehen. Die 19-jährige Alisha Lehmann wechselte diesen Sommer nach London, ohne die Handelsschule abgeschlossen zu haben. Das will sie im Fernstudium schaffen. Solche Entscheidungen haben vielschichtige Gründe. Für die persönliche Entwicklung ist diese Aufbruchserfahrung unter Umständen zentral, ganz abgesehen vom Abenteuer, das ein Leben in der Grossstadt verspricht. Die Schweizer Meisterschaft zu verlassen, ist Ausdruck einer Ambition, die über den Fussball hinausgeht.

Und der sportliche Ehrgeiz kennt keine Geduld. Nach dem Wechsel hatte Lehmann selbstverständlich erklärt, sie wolle im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr «auf möglichst hohem Niveau trainieren und spielen». Nur läuft die Schweiz unterdessen Gefahr, diese Weltmeisterschaft zu verpassen. Die direkte Qualifikation ist missglückt, der sich vollziehende Generationenwechsel fordert seinen Tribut. Und wer diesem Nationalteam beim Scheitern zusieht, kann sich schon die Frage stellen, ob jede der Spielerinnen, die es jetzt wirklich geschafft haben und auf die es jetzt ankäme, noch weiss, wie weit der Weg ist, den andere vor ihnen hinter sich gebracht haben.

Dieser Artikel erschien in ZWÖLF #68, der Ausgabe vom September 2018.