Fedor Chalov soll beim FC Basel also Arthur Cabral ersetzen. Obwohl russische Fussballer im Ausland meist ihre liebe Mühe haben, ganz besonders in der Schweiz. Chalovs Vorgänger erfüllten immerhin einige Klischees: Sie waren launenhaft und genial zugleich und versprühten garantiert nie Langeweile. Unsere «Startaufstellung» aus ZWÖLF #53.
Zwei (fast) wie Bykov/Chomutov
Es war die Sensationsnachricht schlechthin: 1990 verpflichtete der HC Fribourg-Gottéron die zwei russischen Ausnahmekönner Andrei Chomutov und Slava Bykov. Und plötzlich spielte der Klub an der nationalen Spitze mit. Was den Hockeyanern recht, soll den Fussballern nur billig sein, dachte man sich wohl beim FC Fribourg und holte von Torpedo Moskau den 29-jährigen Andrei Rudakov. Tatsächlich wäre man dank der 14 Tore des Stürmers fast in die NLA aufgestiegen.
Weil an der Seite von Bykov/Chomutov selbst Handwerker wie Mario Rottaris plötzlich aufblühten, holte sich auch der FC Fribourg noch einen zweiten Russen namens Valentin Kovach. Die Rechnung ging nicht auf: Fribourg fiel beinahe in die 1. Liga, Kovach hängte seine Schuhe an den Nagel, und Rudakov wurde nach Bulle abgeschoben. Ein kurzes Comeback im Schweizer Fussball feierte er 2011, als er von Bulat Tschagajew als Xamax-Präsident eingesetzt wurde. Nach zweieinhalb Monaten war auch dieser Spuk vorbei.
Der Genfer Prinz
Er lief in den grossen Ligen Europas auf, er bestritt 47 Länderspiele. Igor Dobrovolski gilt als einer der grossartigsten Spieler, die je unsere Plätze beehrten. Stefan Wolf beichtete im ZWÖLF: «Der hat mir Knoten in die Beine gespielt.» Als sowjetischer Fussballer des Jahres landete Dobrovolski 1991 über Umwege in Genf. Die Lokalzeitungen waren ausser sich vor Vorfreude. Nur Trainer Thissen meinte: «Dobrovolski? Nie gehört!»
«Der Prinz» verblüffte mit seiner sagenhaften Technik und schoss gleich noch 15 Tore selbst. Und dies, obwohl er beileibe nicht immer alles gab. «Er war ein wunderbarer Spieler – wenn er denn Lust hatte», erinnerte sich Teamkollege Marco Schällibaum. Trotz seiner Launen war Dobrovolski schlicht zu gut für diese Liga. Er reiste weiter, scheiterte bei Marseille und Atlético Madrid und fand sich plötzlich bei Fortuna Düsseldorf wieder. Die «Sport-Bild» trug seinem ausschweifenden Leben Rechnung mit der wöchentlichen Kolumne «Neues von Dobrovolski». Gerne wurde dort über den überdimensionierten Pelzmantel gespottet, den er selbst im Sommer spazieren trug. Seine Karriere beendete Dobrovolski in Moldawien, wo er die Nationalmannschaft coachte und heute noch bei FC Dinamo-Auto an der Seitenlinie steht. Noch einmal das Land zu wechseln, wäre auch gar anstrengend.
Bären in der NLB
Man hat es bei den Schweizer U17-Helden gesehen: Ein Titel mit dem Nachwuchs öffnet viele Türen. So auch im Falle von Nikolai Pisarev. 1990 wurde er mit der sowjetischen U21 Europameister – an der Seite von Mostovoi, Kanchelskis und Kiryakov –, nach zwei Monaten im Test bei Milans Farmteam klopfte endlich ein Grossklub an: der FC Winterthur.
Seinen Landsmann Renat Ataulin brachte Pisarev auch gleich mit, zusammen waren sie – noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs – die ersten «russischen Bären» («Blick») im Schweizer Fussball. Natürlich sollte der FCW nur eine Durchgangsstation sein, weshalb Pisarev weiter Italienisch büffelte. Die Russen harmonierten prächtig. Pisarev traf in jedem zweiten Spiel, oft auf Vorarbeit von Ataulin. Doch weil die Mitspieler eben nicht ganz so gut waren, brillierte das Duo vor allem in der NLB-Abstiegsrunde gegen Malley oder Glarus. Nach zwei Saisons waren beide wieder in der Heimat. Pisarev versuchte es später noch beim FC St. Pauli, Wintis Bruder im Geiste. Heute steht er Valeri Karpin als Assistent bei der «Sbornaja» zur Seite.
Verschollen ohne «Vodka»
Kaum einer zementierte das Bild des schlampigen Ost-Zauberers so nachhaltig wie Aleksandr «Sascha» Rytchkov. Schon als der Sibirier 1998 in Basel ankam, umfasste sein Sündenregister Alkoholeskapaden, eine versuchte Vergewaltigung und Rauswurf wegen Cannabiskonsum. Warum er dennoch immer wieder einen Verein fand, zeigte sich, wenn er gerade Lust verspürte. Nur dank der fast überirdischen Präsenz der besten Nummer 10 der Liga schaffte es der FCB bis auf Platz 5 – die beste Klassierung seit einer halben Ewigkeit.
Das Glück war nicht von Dauer: In der Sommerpause lernte Rytchkov in der Heimat eine schöne Dame kennen. Für die um 30 Tage verspätete Rückkehr hatte Christian Gross wenig Verständnis und lieh ihn nach Delémont aus. Doch auch nach den Weihnachtsferien wartete der FCB vergebens auf Rytchkov und entliess ihn fristlos. Seine Katze – er hatte sie tatsächlich auf den Namen «Vodka» getauft – landete im Tierheim. Auch Delémont verzichtete nach einem Angriff auf den Schiedsrichter-Assistenten lieber auf Rytchkov. Später bei Paderborn ging sein Engagement nach einer Roten Karte im ersten Spiel gleich wieder zu Ende. 2002 tauchte er für ein paar Spiele beim AC Bellinzona auf.
Rytchkov kehrte zurück nach Sibirien, wechselte zum Eishockey (wo er 2006 einen regionalen Titel einheimste) und lief nebenbei noch im Amateurfussball auf. Zumindest bis im Herbst 2007: Da kassierte er nämlich eine einjährige Sperre nach einem Angriff auf einen Schiedsrichter.
Rache für Mailand
Als die US Foggia unter Trainer Zdeněk Zeman grandiosen Offensivfussball zelebrierte, fiel einer besonders auf: Igor Shalimov. Inter Mailand legte sagenhafte 15 Millionen Franken auf den Tisch, bei den Nerazzurri blieb ihm aber stets nur eine Nebenrolle. 1995 wurde er zum FC Lugano ausgeliehen. Nie konnte der lauffaule Russe verbergen, dass er die NLA als deutlich unter seiner Würde empfand. Nur einmal zeigte er, was er leisten könnte, wenn er denn mal wollte. Und zwar als Lugano im UEFA-Cup ausgerechnet auf Inter traf, das ihn so verschmäht hatte. Bei der Sensation war Shalimov der beste Mann auf dem Platz. Seine Auftritte in der heimischen Liga blieben aber weiterhin aufreizend lustlos. Ein 0:5 in Aarau war der Schlusspunkt seiner «Aktiv»-Zeit hierzulande. In der Folge verdingte er sich wieder als Teilzeitarbeiter in Italien, bis er seine Karriere nach einem Dopingvergehen beendete.
Wenn die Kasse stimmt
Der Psychologe Abraham Maslow entwickelte die Bedürfnispyramide. Zuoberst steht dort die Selbstverwirklichung. Beim Fussballer Aleksandr Maslov dürfte das etwas anders aussehen. Sein Klub Albacete lieh ihn auf die Maladière aus. Ex-Xamax-Trainer Gress kriegte sich kaum ein: «Ihm braucht man nichts zu erklären. Er macht einfach alles richtig. Das ist ein Fussballer!» Nach überragenden 10 Toren in 11 Spielen jagte ihn die ganze Liga.
Ein Jahr später erlag Maslov der grosszügigen Offerte von NLB-Klub Sion. 15‘000 Franken im Monat soll er dort verdient haben. Obwohl er seine Laufbereitschaft nahezu ganz einstellte, skorte er weiterhin zuverlässig. Dank seiner Tore – 18 in 34 Spielen – stiegen die Walliser auf. Weil der Russe keine Lohneinbusse hinnehmen mochte, zog er weiter. Sein nächster Verein war der FC Winterthur. Zu diesem Engagement meinte Kriens-Präsident Toni Burri: «Wenn ich lesen muss, wie viel Maslov verdient, kann ich nur den Kopf schütteln.» Mit einem netten Zustupf für die Altersvorsorge verabschiedete sich Maslov bald wieder nach Rostov, wo er lange als Nachwuchstrainer fungierte.
Der 6-Minuten-Russe
Und plötzlich war er doch da. Wochenlang war in Lausanne über einen möglichen Zuzug des russischen Nationalspielers Aleksandr Panov spekuliert worden. Nun präsentierte Trainer Pierre-André Schürmann stolz seinen Neuling. Eine Riesennummer! 1999 hatte er mit einer Doublette im Stade de France den Weltmeister geschockt, kurz darauf schoss er Zenit St. Petersburg zum Cupsieg und sicherte sich einen Transfer zur AS Saint-Étienne. Nach einer längeren Verletzung sollte er sich nun am Lac Léman wieder in Form schiessen.
Doch in der Finalrunde 2001 sass der Russe meistens als überzähliger Ausländer auf der Tribüne. «Die Fitness», sagte der Trainer. Und als er dann doch mal für 6 Minuten ran durfte, meinte auch Präsident Waldemar Kita: «Für mehr reicht es ihm nicht.» Nach vier Teileinsätzen gab man in Lausanne die Hoffnung auf. In seiner Heimat fühlte sich Panov sichtlich wohler. Bis zu seinem Karriereende 2010 traf er noch 64 Mal in der Premjer-Liga.
Bolschoi-Tänzer in Basel
1988 fiel der stolze FC Basel in die NLB, danach kämpfte er jahrelang vergebens um eine Rückkehr ins Oberhaus. Doch nun sollte es endlich klappen. Trainer Didi Andrey hatte auch schon den Wunschspieler im Auge: Sergei Derkach, linker Flügel, Stammspieler bei Dynamo Moskau. Dank der Vermittlung von Ilja Kaenzig klappte es 1993 tatsächlich, den Spieler, der auf die «Basler Zeitung» einen «ruhigen, sympathischen und intelligenten Eindruck» machte, in die NLB zu lotsen. Wieso sich das ein zweifacher Nationalspieler überhaupt antue, wollte die Zeitung auch noch wissen: «Wissen Sie, in Russland stellt man solche Fragen nicht dem Spieler, sondern dem Präsidenten selbst.»
Derkach kam, sah – und fiel gleich ein halbes Jahr aus. Dass er dennoch auf 11 Einsätze kam – nur zwei über die volle Distanz –, ging im Jubel über den Aufstieg unter. Der «Bolschoi-Tänzer» («Blick») verzog sich wieder in die Heimat, wo er bis 1998 mit höchst überschaubarem Erfolg kickte.
Abstieg mit Ikone
Der grösste Star, den der Verein je hatte, kam in einer seiner grösste Krisen der Neuzeit. Der FCZ lag im Dezember 2015 auf dem vorletzten Platz, als Aleksandr Kerzhakov vorgestellt wurde. Bester Torschütze der russischen Liga und der Sbornaja, ein Nationalheld. Schon mit 19 hatte er eine Autobiografie herausgegeben, längst gehört er zu Russlands Elite, unterstützte Wladimir Putin im Wahlkampf.
Bei Zenit St. Petersburg war die Klubikone nicht mehr erwünscht. Unter anderem, weil er wegen angeblicher Flugangst nicht an ein Auswärtsspiel mitreisen wollte, nur um eine Woche später dem glamourösen Monaco eine Kurzvisite abzustatten. Ancillo Canepa liess sich diese Gelegenheit nicht entgehen und holte den gefallenen Held auf Leihbasis. In Zürich wollte sich Kerzhakov für die bevorstehende EM empfehlen. Der FCZ-Fanshop bot bald T-Shirts mit kyrillischen Aufdrucken an, die Fans gaben sich euphorisch. Seinem Motto «Ich traf, ich treffe, und ich werde treffen» wurde Kerzhakov dann nur bedingt gerecht. Seine 5 Treffer in der Liga reichten nicht, um den Abstieg zu verhindern, immerhin schoss er den FCZ mit einem Doppelpack in den Cupfinal. Nach einem halben Jahr verabschiedete sich der Stürmer in die Heimat, beendete bald darauf seine Karriere und ist seither als Trainer tätig. Derzeit sitzt er beim abstiegsbedrohten Nizhny Novgorod auf der Bank.