Meister und Mysterium
Erst im Juni 2015 hat Richard Núñez seine Karriere beendet. Kaum einer traf in der Schweiz so regelmässig wie er. Doch GCs Meisterheld stand sich oft selber im Weg. Treffen mit einem Unverstandenen und Unerreichten.
Erschienen in ZWÖLF #49 (Juli/August 2015)
Text: Christian Egli
Noch ein allerletztes Mal schnürt er sich die Schuhe, zieht sich das Trikot mit der 10 über und legt die Captainbinde um den rechten Arm. Mit 39 Jahren. Es geht um nichts mehr gegen Defensor Sporting an diesem sonnigen 7. Juni. Der Abstieg der Rampla Juniors aus der obersten Liga steht bereits fest. «Ich habe nie gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Ehrlich gesagt, mit dem Alter wird es immer schlimmer», seufzt er. Nur wenige Hundert Zuschauer kommen zum Heimspiel im Cerro, einem Quartier mit traumhaftem Panoramablick über die Bucht von Montevideo, in dem sich Uruguay aber von seiner hässlichsten Seite zeigt. Die Armut ist allgegenwärtig. Das Stadion erinnert an eine Ruine, die den Kampf gegen Zeit und Natur verloren hat.
So schwingt vor seiner Abschiedsvorstellung auch viel Erleichterung mit in den Worten des Rampla-Spielmachers. «Ich bin froh, dass es jetzt dann zu Ende ist.» Sagt er. Einer der brillantesten Spieler, welche die Schweizer Liga je gesehen hat: Richard Darío Núñez Pereyra.
Dem einstigen GC-Liebling könnte die Zukunft seines letzten Teams in der über 20 Jahre dauernden Karriere egal sein. Doch Núñez kümmert und sorgt sich um das Wohl der jungen Spieler. «Die Situation hier ist prekär. Die Jugendlichen brauchen eine Plattform, um sich zu zeigen – und dann müssen sie weg. So wie ich damals.»
Damals war Ende 2000. Der dribbel- und schussstarke Uruguayer, immerhin schon 25, kickte noch für seinen Stammklub Danubio. Für ein Freundschaftsspiel kündigte sich Besuch aus der Schweiz an. GC-Trainer Bidu Zaugg hatte sich von Videoaufnahmen begeistert gezeigt und auf eine Verpflichtung gepocht. Sportchef Mathias Walther sollte sich vor Ort der Qualität des Linksaussen vergewissern und den Wechsel vom Silberfluss Río de la Plata an die Limmat in die Wege leiten.
Es ist in Südamerika gang und gäbe, dass die Gegner bei solchen Brautschauen einen umworbenen Spieler etwas mehr gewähren lassen. Der FCZ liess sich nach einer solchen beschönigten Vorstellung im Sommer 2001 zu einer Verpflichtung des Argentiniers Francisco Guerrero hinreissen. Für 3,5 Millionen Franken. Núñez wiederum bezeichnet sein Schicksalsspiel als eines seiner schlechtesten überhaupt. «Nichts gelang mir. Denn entgegen allen Abmachungen wurde ich gedeckt wie nie zuvor.» Und so glaubte er auch nicht, dass es ihm reichen würde für einen Transfer nach Europa.
Als er aber am darauffolgenden Montag wieder im Training erschien, schickte man ihn nach Hause – zum Kofferpacken. Der Deal kam zustande, Danubio bedankte sich für 5 Millionen Dollar. Selbst für das damalige GC unter den spendierfreudigen und schwerreichen Herren Gerber, Gut und Albers war es sehr viel Geld, das man für einen bereits gereiften Angreifer von einem uruguayischen Mittelfeldklub überwies. Doch Mathias Walther hatte richtig hingeschaut. Während es Guerrero beim FCZ auf mickrige 6 NLA-Tore bringen sollte, traf Núñez für GC 86 Mal in 126 Meisterschaftsspielen. Dazu kamen 71 Assists. Werte, die in der Neuzeit des Schweizer Fussballs unerreicht sind. Zwei Meisterpokale stemmte GC während seines vierjährigen Gastspiels auf dem Hardturm.
Zum ersten Mal seit 2005 befindet sich der Ballzauberer jetzt wieder auf helvetischem Boden, wenn auch nur auf einem weissen Sofa der schweizerischen Botschaft in Montevideo. Spontan liebkost er die kleine Tischfahne mit dem Schweizer Kreuz. Beinahe symbolisch vernachlässigt er die uruguayische.
«Die vier Jahre in Zürich waren die beste Zeit meines Lebens», sagt Núñez. Es klingt nach einer leeren Floskel. Tatsächlich aber kommt er nicht mehr aus dem Schwärmen, seine Augen leuchten. Jedes der eingerahmten Landschaftsbilder an der Wand weiss er zu kommentieren. Häufig sei er in der Freizeit im Zug durch das Land gereist, nach Genf, nach Rapperswil, in die Berge.