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Denkt bitte an den Fussball!

Am 20. Mai müssen die Klubfunktionäre zeigen, ob es ihnen wirklich um den Fussball geht. Oder ob sie ihn für ein Marketingexperiment opfern wollen. Ein Kommentar der ZWÖLF-Redaktion.

Wieder einmal wird über den Modus debattiert, doch diesmal gilt es ernst. Einschneidende Änderungen am Fussball an sich stehen bevor, wenn die 20 Klubvertreter am 20. Mai zu Abstimmung schreiten. Die Lage ist so dringlich, dass wir als Printmagazin uns gezwungen sehen, dazu online einen aktuellen Text zu publizieren. Mehrere Fankurven (leider noch nicht alle) haben ihren Unmut bereits kundgetan. Wenn die Losung «Gegen den modernen Fussball» irgendwann einmal mehr sein soll als eine leere Worthülse, dann ist jetzt der Moment gekommen. Doch das Unbehagen beschränkt sich ohnehin nicht auf die aktiven Fans. Von dem, was wir bis jetzt zu hören bekommen, sagen auch die meisten Junioren, Journalistinnen, Tribünengänger, ZWÖLF-Leserinnen, Trainer und Profis: Bitte nicht.

Die ZWÖLF-Redaktion lebt den Austausch und die Vielfalt der Meinungen – auch in der Modus-Frage haben wir nicht den einen, perfekten Vorschlag, hinter den wir uns unisono stellen würden.

Einig sind wir uns aber in Folgendem:

  1. Keine Play-offs

Das alles entscheidende Argument wurde schon x-fach ausgeführt: Der Sinn einer Meisterschaft ist es, jenes Team mit einem Titel zu belohnen, das über die Dauer einer Saison am erfolgreichsten ist. Dabei zählt jedes Spiel gegen jeden Gegner und zu jeder Jahreszeit gleich viel. Dies im Gegensatz zum Cup.

Anders als etwa im Eishockey, das gerne als Erfolgsmodell für Play-offs ins Feld geführt wird, wiegen einzelne Aktionen im Fussball teilweise zentnerschwer. Eine frühe, höchst umstrittene Rote Karte oder die Verletzung eines Schlüsselspielers können eine Partie entscheiden, in einem Play-off allerdings gleich die ganze Meisterschaft. Das kann nicht der Sinn einer Liga sein.

Die Befürworter der Play-offs argumentieren mit der «Generation Z», für die «Sport-Events attraktiver» werden müssen. Der Schweizer Klubfussball müsse mehr «unterhalten».

Das ist Marketingsprech und entlarvt die Funktionäre. Wer solche Überlegungen in den Vordergrund stellt, dem geht es nicht um das Wohl des Fussballs, sondern sieht sich als Vertreter der Unterhaltungsindustrie und könnte geradesogut ein Golfturnier oder ein Reality-TV-Format verantworten.

Die Klubs leben von der emotionalen Bindung ihrer Fans, und diese besteht gerade darin, dass über ein Jahr hinweg ein Grundrauschen erzeugt werden kann.

Aber nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich sind solche Aussagen in Zweifel zu ziehen. Schweizer Fussball ist für die meisten Leute Leidenschaft, nicht Unterhaltung. Um sich zu unterhalten, gibt es heute eine Million bessere Möglichkeiten. Die Klubs leben von der emotionalen Bindung ihrer Fans, und diese besteht gerade darin, dass über ein Jahr hinweg ein Grundrauschen erzeugt werden kann. Wenn nun aber ein paar Spiele zum Saisonende effekthascherisch zu Events hochstilisiert werden, dann kommen in Runde 7 gegen Lugano und Runde 16 gegen Schaffhausen umso weniger Leute. Wer mit Play-offs einzelnen Partien enorme Bedeutung beimisst, stuft gleichzeitig viele andere deutlich herunter. Warum soll man sich die überhaupt noch anschauen?

Hinzu kommt: Die fehlende Eventisierung scheint den Schweizer Fans ganz zu behagen. In der laufenden, noch immer von Corona tangierten Super-League-Saison wird voraussichtlich der beste Zuschauerschnitt seit zehn Jahren erreicht werden.

Solche Argumente (wie auch jene bezüglich der Sicherheit oder der Kaderplanung) wiegen schwer gegen Play-offs. Trotzdem müssen sie nebensächlich bleiben. In erster Linie sind wir nämlich der Meinung, dass der sportliche Wettbewerb die eigentliche Essenz des Fussballs darstellt und nicht anderen Überlegungen geopfert werden darf.

 

  1. Keine Entwertung der Challenge League

Eine Aufstockung der Super League scheint uns realistisch, aber bitte mit Bedacht! 14, 16 oder gar 18 Teams, wie es manche auch schon erwägten, sind unserer Meinung nach zu viel. Die Aufstockung darf nicht dazu führen, dass die Challenge League keine kompetitiven Klubs mehr findet und somit gänzlich in den Amateur-Status abrutscht. Dies würde einerseits den Traditionsvereinen in der zweithöchsten Liga und ihren Talenten schaden. Und andererseits würde die Kluft zwischen Super und Challenge League in Sachen Zuschauerzahlen und Finanzen dermassen viel grösser, dass ein Abstieg für Luzern und Co. tatsächlich existenzbedrohlich würde. Die logische Konsequenz daraus wäre die Forderung nach einer geschlossenen Super League im US-Format oder die Unterwanderung der zweiten Liga durch U21-Teams der Grossen. Beides wollen wir nicht.

Nur 22 Teams haben für die kommende Saison im ersten Anlauf die Lizenz für Profifussball erhalten, dies zeigt die natürlichen Grenzen einer Expansion und gleichzeitig eine Entwicklung, die man gut im Auge behalten sollte. Eine Super League mit 12 Teams, wie sie aktuell zur Debatte steht, würde eine deutliche Entwertung der Challenge League gerade noch so verhindern. Die Abwechslung, die durch zwei zusätzliche Klubs entstehen würde, wäre sowohl den Spielern als auch den Zuschauern sehr willkommen. Argumente wie zusätzliche Einsatzminuten für U-Akteure auf höchstem Niveau oder Planungssicherheit für die Vereine scheinen uns valabel, sollten aber wiederum nicht ausschlaggebend sein.

Welche Modus-Varianten erachten wir nun angesichts dieser Gedanken und der Ausgangslage vom 20. Mai für angemessen?

Es bleiben aus unserer Sicht noch vier Optionen:

a) 12er-Liga, 2 x 11 Runden plus eine Final- und eine Abstiegsrunde mit Hin- und Rückspielen
Diese Variante ist uns nicht sonderlich sympathisch. Gerade die Abstiegsrunde wäre ein Publikumskiller. Weil es monatelang nur noch um die Verhinderung des Abstiegs geht und die attraktivsten Gegner ausbleiben. Der FC St. Gallen etwa hätte statt einer phänomenalen Rückrunde wie in dieser Saison nach diesem Modus nur noch gegen Sion, Luzern, Lausanne, Vaduz und Aarau gespielt. Mit der Aussicht auf ein Europacup-Playoff, wie vom Liga-Komitee vorgeschlagen, liesse sich dieses Problem etwas abfedern, aber wirklich in genügendem Masse? Und auch hier gilt primär: Dass sich ein Teilnehmer einer Abstiegsrunde noch für Europa qualifizieren kann, scheint uns hochgradig unfair. Denn aus irgendeinem Grund hat es zuvor ja einen tabellarischen Cut gegeben.

b) 12er-Liga, 3 x 11 Runden
Diese Variante kam bis 2016 in der dänischen Superliga zum Einsatz, bevor diese auf 14 Teams aufgestockt wurde. Der Modus überzeugt mit seiner Schlichtheit und entspricht am ehesten dem echten Meisterschaftscharakter in einer 12er-Liga. Das Problem: Sportlich ist er nicht fair, weil zum Beispiel Basel zwei Mal zu Hause gegen YB antreten dürfte und nur einmal auswärts ranmüsste (oder umgekehrt). Dazu kämen wieder wirtschaftliche Sorgen: Die Klubs hätten bei 33 Runden ein oder zwei Heimspiele weniger, das Fernsehen würde dadurch ebenfalls weniger bezahlen.

c) 12er-Liga, 3 x 11 Runden plus eine Final- und eine Abstiegsrunde, aber ohne Rückspiele
Es ist der Modus, der seit 2012 in Schottland praktiziert wird, und aus unserer Sicht die beste Lösung für eine 12er-Liga. Die Final- und Abstiegsrunde werden auf ein Minimum reduziert. Sie bestehen aus bloss fünf Runden. Diese werden dann auch zum Anlass genommen, die ungleiche Anzahl Heim-/Auswärtsspiele aus den ersten 33 Runden möglichst wieder auszugleichen. Nach dieser Mini-Final- bzw. Abstiegsrunde ist die Saison zu Ende. Der Erste ist Meister, die Teams dahinter spielen europäisch. Der Letzte der Abstiegsrunde muss runter, der Zweitletzte geht in die Barrage. Schottland hat also einen Modus für eine 12er-Liga gefunden, der möglichst lange einer normalen Meisterschaft gleicht, ohne Zufall auskommt und verhindert, dass einige Klubs während der Rückrunde nur gegen den Abstieg spielen. Die 38 Spiele pro Team verleihen zudem auch keinen Grund für wirtschaftliches  Wehklagen.

d) 10er-Liga, Status quo
Die Puristen in unserer Redaktion ziehen generell eine Liga vor, wo jeder gegen jeden gleich viel spielt. So etwas ist mit zwölf Teams nicht möglich, da dafür 44 Runden nötig wären. Die aktuellen Saisons der Super und Challenge League, die in Sachen Attraktivität nicht leicht zu toppen sind, zeigen zudem, dass eine Veränderung alles andere als zwingend ist.

In unserer Redaktion stehen die Varianten c) und d) am höchsten im Kurs: eine 12er-Liga mit möglichst kurzen Entscheidungsrunden oder das bestehende 10er-Format. Das mag wenig «visionär» anmuten, aber trägt dem Wohl des sportlichen Wettbewerbs – und ein solcher ist der Fussball in erster Linie immer noch – am besten Rechnung.

Selbstverständlich verschliessen wir uns nicht vor wirtschaftlichen Argumenten, mit denen wir uns ja auch regelmässig befassen. Wir haben Verständnis für die Klubs und ihre Präsidenten, die oft mit finanziellen Widrigkeiten kämpfen müssen und dies mit Leidenschaft tun. Doch rein marketinggetriebene Überlegungen dürfen nicht über die Zukunft des Schweizer Fussballs entscheiden – erst recht nicht, wenn sie auch aus wirtschaftlicher Sicht ein Experiment darstellen.

Wir erwarten von den 20 Klubvertretern, dass sie bei ihrem Votum am 20. Mai den Geist des Spiels ins Zentrum stellen. Wir können unsere Enttäuschung nicht verhehlen, falls sie dies nicht tun.