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Leseklassiker: Urs «Longo» Schönenberger

«In Aarau wurde geraucht und gepokert, da bist du nur noch Polizist»

Dieser Tage erscheint das grosse ZWÖLF-Lesebuch. Als Amuse-B(o)uch(e) gibts hier etwas Zusatzstoff schon vorweg: Longo Schönenberger, der sich in Ausgabe #2 (Juli 2007) um Kopf und Kragen redete. 31 weitere solche zeitlosen Geschichten lest ihr in unserem Buch, das ihr hier bestellen könnt.

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Interview: Stefan Schürer und Gian-Andri Casutt / Fotos: Lukas Frei/Zerkalo

Lucien Favre ist weg, der FCZ hat einen neuen Trainer. Sie waren im Gespräch, am Ende haben sich die Verantwortlichen gegen Sie entschieden. Wieso hat es nicht gereicht?
Das wissen nur die Verantwortlichen. Ich wäre gerne Trainer beim FCZ geworden. Ich bin neben dem Letzigrund aufgewachsen, das Halbfinal 1977 im Meistercup gegen Liverpool habe ich im Stadion gesehen. Ich arbeite gerne mit jungen und erfolgshungrigen Spielern, und ich weiss, was es braucht für die Champions League.

Wie liefen die Kontakte?
Ich habe nicht selber mit den Verantwortlichen verhandelt. Mein Agent hat mit dem FCZ geredet, das ist so üblich. Ich war in den Ferien. Hätten sie mich genommen, ich hätte meine Ferien für den Trainingsstart unterbrochen, keine Frage. (Bernard Challandes, der neue FCZ-Trainer, verpasste den Trainingsstart ferienhalber, die Red.)

Wie geht es jetzt weiter?
Ich habe gehofft, dass ich Trainer beim FCZ werde. Jetzt sondiert mein Berater im deutschen Raum, vielleicht Regionalliga. Ich würde gerne in Deutschland arbeiten. Ich war bei Marcel Koller in Bochum zu Gast. Die Spieler dort haben eine andere Berufseinstellun. Da geht in jedem Training die Post ab.

Es wäre Ihr drittes Engagement beim FCZ gewesen.
Genau. Ich kam damals als junger Spieler zum FCZ, 1981, wir wurden gleich Meister. Unter Jeandupeux, einem grossartigen Trainer. Bald setzte der Niedergang ein. Als Lüdi und andere Spieler im Trainingslager im Hotel über die Stränge schlugen, sagte Jeandupeux: «Entweder die oder ich.» Bald darauf ist Jeandupeux gegangen.

1996 kehrten Sie zum FCZ zurück, als Assistent von Raimondo Ponte. Sie gelten als sehr ehrgeizig. Nicht alle Spieler beim FCZ haben damals diese Einstellung geteilt.
Ein Spieler muss motiviert zur Arbeit erscheinen. Wenn ich an einen Kawelaschwili denke oder Jamarauli, wie diese Spieler ins Stadion eingelaufen sind, dann hats mir schon vor dem Spiel abgelöscht. Jamarauli hätte von seinen Qualitäten her bei Roma spielen müssen, nicht Nonda. Konjic, der zu Monaco gegangen ist, hats nur mit Fleiss gemacht. Jamarauli und Kawelaschwili musste man jeden Tag peitschen.

Sie mussten 2001 beim FCZ gehen, als Erich Vogel als Manager geholt wurde. Für viel Geld kam Francisco Guerrero zum FCZ? Wie kam dieser Transfer zu Stande?
Als Bregy und Vogel kamen, wollten sie einen neuen Assistenztrainer, Walter Grüter, den Vogel jetzt auch wieder zu GC geholt hat. Vor meinem Abgang haben wir noch Videokassetten von Guerrero angeschaut, in der Nacht, von 2 bis 4 Uhr, im Letzigrund. Vogel, Grüter, Bregy, Petralito – der Spielerberater von Guerrero – und ich. Zuerst haben wir ein Video angeschaut, aus der Zeit vor der Verletzung, und dann ein Video vom ersten Spiel nach dem Kreuzbandriss. Die Differenz betrug 40 Prozent. Ich habe gesagt, wenn man die Differenz auf 20 Prozent reduzieren könnte, dann kann Guerrero ein guter Spieler für den Schweizer Fussball sein. Guerrero hats aber nicht geschafft. Er ist am Ball unglaublich stark. Wenn aber hart trainiert wird, meldet er sich am nächsten Tag mit muskulären Problemen ab.

In Luzern standen Sie als Trainer 2003 in der Nati B auf dem zweiten Tabellenrang. Trotzdem mussten Sie gehen. Wie ist das möglich?
Hier muss man zunächst die Vorgeschichte kennen: Eine Gruppe von Spielern um Rota und Brand wollten meinen Vorgänger Bidu Zaugg loswerden. Rota war der Anführer, Brand hat ihn unterstützt. Brand hat dann aber zurückgezogen. Rota wurde darauf in den Nachwuchs versetzt. Er und Brand hatten seither das Heu nicht mehr auf der gleichen Bühne. Dann wurde ich als Trainer geholt. Als ich kam, hiess es, Rota hat einen guten Vertrag, wir können es uns nicht leisten, dass der im Nachwuchs spielt, und so habe ich ihn wieder in die erste Mannschaft genommen. Sein Konflikt mit Brand war mir nicht bekannt.

Wieso kam es zum Eklat?
Wir spielen in Luzern. Brand will einen Freistoss ausführen, Rota stösst ihn weg. Brand schmeisst darauf die Captainbinde weg, vier Minuten vor der Halbzeit, und kommt zu mir. Ich sage: «Du musst fertig spielen!» Halbzeitpfiff. Brand rennt in die Kabine und will sich umziehen. Das konnte ich nicht zulassen, ich kannte die Vorgeschichte ja auch nicht. Ich sage ihm: «Du spielst nie mehr unter mir, wenn du jetzt gehst.» Am nächsten Tag sind wir dann zusammengesessen, mit Sportchef Raffaele Natale. Wir sind zu diesem Zeitpunkt Tabellenzweiter, aber Natale hat im Hintergrund gegen mich gearbeitet. Er hat eine Abstimmung organisiert. Die Spieler sollten entscheiden, ob sie weiter mit mir zusammenarbeiten wollen. Die Abstimmung war lächerlich. Geredet haben zwei, drei Spieler, die anderen hatten Angst. Die Jungen standen hinter mir, ich habe sie gefördert, Spieler wie Savic, Hodel, Mikari, Schwegler, Diethelm, Zibung. Dann musste ich den Klub verlassen.

Was sind die Lehren aus dieser Episode?
Du brauchst einen Sportchef, der dir den Rücken stärkt. Ich habe schon damals als Assistent von Raimondo Ponte gesagt, er soll Fredy Bickel als Sportchef holen. Bickel war damals Assistent von Erich Vogel bei GC.

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Wie war die Situation in Aarau, Ihr Verhältnis zu Sportchef Ruedi Zahner?
Das Konzept von Zahner war gut, mit den jungen, günstigen Spielern wie Antic oder Burki. Mit Zahner hatte ich einst beim FCZ gespielt, wir hatten auch in Aarau ein offenes Verhältnis. Im Rückblick würde ich trotzdem gewisse Dinge anders machen und Zahner andere Aufgaben geben, dass auch er unangenehme Sachen in der Mannschaft macht. Ich habe auch nicht gewusst, dass er mein Nachfolger wird.

Was für unangenehme Sachen?
Wenn in der Garderobe geraucht wird, sollte es nicht der Trainer sein, der einschreitet. Sonst bist du nur noch Polizist. Oder wenn gepokert wird, einzelne Spieler vier Stunden an einem Tisch sitzen und um Geld spielen. Das ist schlecht für den Teamgeist. Hier einzuschreiten, braucht Energie, und du musst dich als Trainer mit den Spielern anlegen. Solche Dinge würde ich heute anderen überlassen.

Was ist sonst nicht gut gelaufen in Aarau?
Wir haben super Fussball gespielt, die Resultate sind ausgeblieben. Die Forfait-Niederlage gegen St. Gallen war der Knackpunkt. Der Präsident hat mir gesagt, er gerate immer stärker unter Druck. Vor dem Match gegen Schaffhausen habe ich ihm gesagt: «Entscheide du.» Gegen Schaffhausen sass ich dann nicht mehr auf der Bank. Als ich Trainer war, hat Rogerio pro Spiel zwei 100-prozentige Torchancen vergeben. Als Gress zu Aarau gekommen ist, für die letzten Saisonspiele und die Barrage gegen Bellinzona, habe ich mit ihm geredet, darum hat er Rogerio spielen lassen. Rogerio hat dann die Tore gemacht.

Wie sind Sie überhaupt nach Aarau gekommen?
Ich wurde von Ruedi Zahner telefonisch kontaktiert. Als ich das erste Mal nach Aarau gehe, sitzen am Tisch: René Herzog, der Vizepräsident, Präsident Christian Stebler, Zahnder – und Erich Vogel. Ich habe gedacht, ich sehe nicht recht. Später habe ich erfahren, dass Vogel mich nach Aarau gelotst hat. Er hat dem Präsidenten Stebler gesagt, ich sei ein guter Trainer für Aarau. Und das nach der Geschichte mit Köln.

Was war mit Köln?
Kölns Manager Michael Meier hat Erich Vogel angerufen und sich nach mir erkundigt. Vogel sagte, ich sei ein junger Schweizer Trainer. Als Meier sagte, er suche einen Trainer für Köln, sagte Vogel, aus der Schweiz musst du Latour oder Gross nehmen. Meier hat daraufhin Latour genommen.

Das war nach Ihren Erfolgen mit dem FC Thun. Wie blicken Sie heute auf die Zeit in Thun zurück?
Wir haben viel erreicht. Gleichzeitig ist es einfach nicht normal, was eine Führungsperson sich erlauben kann, gegenüber Spielern und Trainer.

Thun war kein einfaches Umfeld.
Ich habe die Mannschaft gleich auf Platz 2 gehalten. Hätte Petignat den Match in Basel nicht verpfiffen mit den zwei Penaltys, hätten wir vielleicht sogar noch den Titel geholt. Im Sommer haben wir dann einen Riesenaderlass gehabt, Coltorti, Baykal, Renggli, Raimondi, Pallas, Cerone, Ojong, sie alle sind gegangen, zahlreiche neue Spieler gekommen, darunter vier Brasilianer aus unteren Ligen. Zum Beispiel Bernardi: Er kommt, kann aber nicht spielen, angeblich sollen medizinische Tests abgewartet werden. Als diese gemacht sind, spielt Bernardi immer noch nicht. Ich gehe zu seinem Berater und frage: «Was ist los?» Sein Berater ant wortet mir: «Jetzt hat Bernardi einen Vertrag, jetzt muss er kein Probespiel mehr machen.»

Dann sollte auch noch Mario Jardel geholt werden, Europas Torschützenkönig des Jahres 2000.
Sportchef Werner Gerber wollte ihn verpflichten, ich habe den aber zum Glück abgelehnt. Jardel war völlig übergewichtig. Es wäre viel zu lange gegangen, ihn aufzubauen.

Auch sonst scheinen bei Thun seltsame Dinge passiert zu sein.
Wir spielen in der Champions League gegen Ajax Amsterdam. Drei Tage vorher möchte ich mit meinem Assistenten Adrian Kunz Ajax beobachten gehen. Das hat uns stark gemacht in der Champions League, diese Kenntnisse über den Gegner. Jeder Spieler hat genau gewusst, wie sein Gegenspieler spielt. Dennoch erhalte ich vom Präsidenten Weder ein Mail: «Es kommt nicht in Frage, dass beide Trainer zur Spielbeobachtung reisen nach Amsterdam.» Kunz und ich sind trotzdem gegangen, Flug und Unterkunft habe ich selber organisiert. Ajax spielte an einem Samstag, wir hatten schon am Vorabend gegen St. Gallen gespielt. Es gab also keinen Grund, nicht nach Amsterdam zu gehen.

Wieso war Weder dennoch dagegen?
Er hat uns das Rampenlicht nicht gegönnt. Das Schweizer Fernsehen hat in Amsterdam eine Vorschau auf den Match gedreht mit Kunz und mir, wie wir auf der Tribüne sitzen und Notizen machen, alles gestellt; während des Spiels durften die nicht mit der Kamera ins Stadion. Das Präsidium hat im Gegensatz zu mir vom geplanten Beitrag gewusst und hat damit ein Problem gehabt.

Ihr Verhältnis zu Präsident Weder hat sich rasch verschlechtert?
Weder hat gerne Leute um sich, die nicken. Ich hätte immer nicken sollen, auch wenn es um die Champions-League-Gelder ging. Ich habe mich dann aber für die Spieler eingesetzt. Weder hat dann gesagt, er bestimme allein über das Geld.

Wie ging es zu Ende?
Ich habe endlich wieder einmal einen freien Tag und will diesen freien Tag mit meiner Frau verbringen. Weder zitiert mich via SMS zu sich. Ich frage meinen Anwalt, ob ich da hin muss. Schliesslich gehe ich, Hotel Bellevue, der ganze Vorstand ist da. Weder wirft mir vor versammelter Gesellschaft Kleinigkeiten vor wie die Geschichte mit dem Auto: Zwei Wochen bevor Weder eine Toyota- Garage eröffnet, haben sich meine Familie und ich mit unserem neuen Opel fotografieren lassen. Oder die Sache mit dem Verbandsbeschwerderecht: Zusammen mit anderen Spielern habe ich bei einer Aktion für die Abschaffung des Verbandsbeschwerderechts mitgemacht. Bei anderen Klubs ist das Privatsache der Spieler und Trainer; Weder macht daraus ein Drama. Drittens: In der Zeitung hats ein Privatfoto von unserer Mannschaft gehabt, auf dem ich Adidas trage, obwohl Hummel Ausrüster von Thun ist. Um mir diese drei Dinge zu sagen, eine Sache von 20 Minuten, musste ich den Weg von Zürich nach Thun auf mich nehmen. Dann essen alle, ich werde nicht eingeladen und kann wieder gehen. Da habe ich gewusst, dass es vorbei ist. Am Ende hatte ich Differenzen mit Captain Andres Gerber. Er war lange verletzt, ich wollte ihn mit Spielen im Nachwuchs aufbauen. Das wollte er aber nicht und ist zum Vorstand gegangen und hat sich beschwert.

Eine Konstante in Ihrer Karriere ist, dass Sie Erfolg haben und trotzdem den Verein verlassen, so auch beim FC Winterthur.
In Winterthur bin ich aus finanziellen Gründen gegangen. Präsident Hannes W. Keller hat mir gesagt, er könne kein Geld in den Verein stecken. Ich war der Einzige bei Winterthur, der Ende Monat den Lohn erhielt, vom FCZ. Keller ist vor die Mannschaft gestanden und hat gesagt, er könne nicht Geld aus seinem Unternehmen in den FCW investieren.

Ihre vorläufig letzte Station war YF Juventus. Sie haben den Trainerjob in hoffnungsloser Lage angetreten, YF war schon fast abgestiegen. Wieso haben Sie den Job angenommen?
Ich habe bis Ende Juni einen Vertrag gehabt in Aarau, aber ich wollte arbeiten. Ich habe dann mit YF geredet, sie haben es sich überlegt, vielleicht zu lange. Die Mannschaft von YF war schlecht zusammengestellt. Ich hatte zwölf Ausländer, aus verschiedenen Ländern, Argentinien, Italien, Paraguay, Brasilien, Polen… Die wissen gar nicht, was das heisst: Ligaerhalt. Und wenn sie verletzt sind, dann sieht man sie eine Woche nicht mehr. Vor meiner Zeit hat man solche Sachen akzeptiert. Ich nicht.

Dieses Interview erschien in einer etwas längeren Fassung erstmals in ZWÖLF #2, der Ausgabe vom Juli 2007. In den Jahren danach war Urs Schönenberger noch für Altach, Niederweningen, Wohlen und Kriens tätig. Heute arbeitet er in einer Carrosserie-Spenglerei in Zürich.