Fatih Terims gefährliche Freunde
Zum zehnten Mal jährt sich die «Schande von Istanbul». Einer der Drahtzieher von damals ist heute wieder im Amt: Fatih Terim, Trainer der Türkei. Das ganze Puzzle setzte ZWÖLF in der Ausgabe #24 zusammen. Von den Ausschreitungen nach dem Barrage-Spiel gegen die Schweiz reichen die Spuren zurück bis zum Papst-Attentat von 1981.
Erschienen in ZWÖLF #24 (September/Oktober 2011)
Text: Mämä Sykora
Nach dem wohl aufwühlendsten Spiel einer Schweizer Nationalmannschaft, der 2:4-Niederlage in der Barrage für die WM 2006 im Sükrü-Saracoglu-Stadion in Istanbul, stehen ein sichtlich euphorisierter Philipp Degen und ein verwirrt umherblickender Ludovic Magnin bei ARD-Reporter Nick Golüke. Inmitten der ersten Antwort bricht Degen ab, blickt an der Kamera vorbei und stammelt «Ich muss zu… Oh, oh! Ich muss… Guck das an! Ich geh jetzt da…», worauf er sich in die Tumulte im Kabinengang stürzt. Als der Kameramann die Szenen einfangen will, schlägt ihn ein türkischer Sicherheitsbeamter nieder. Weitere Bilder aus den Katakomben gibt es nicht.
«Uns wurde unmissverständlich mitgeteilt, dass wir nicht nochmals versuchen sollten, das Geschehen zu filmen», sagte ARD-Reporter Golüke später. «Für den Fall wurden uns Schläge angedroht.» Und das sei beileibe nicht der erste Versuch gewesen, die Medienvertreter einzuschüchtern. Eigene Kameras, sonst bei solchen Übertragungen üblich, waren in Istanbul verboten, jedem Team wurde ein Sicherheitsbeamter zugeteilt, der im Falle des ARD-Duos verhindert hat, dass Bilder von der Attacke von türkischen Funktionären und Ordnern auf Philipp Degen in der Halbzeitpause aufgenommen werden konnten. Zehn Minuten vor dem Abpfiff wurden die Journalisten dann auch noch von offizieller Seite vorgewarnt: «Kommt nicht auf die Idee, das zu drehen, was hier gleich passiert.» Und so ist Golüke einer von wenigen neutralen Zeugen, die gesehen haben, wie die Schweizer nach der Flucht in den Kabinengang von einem Mob aus Polizisten, Sicherheitsbeamten und türkischen Spielern empfangen wurden. Er sah, wie Alpay und Emre an vorderster Front auf die Schweizer einschlugen. Dennoch wird er von der FIFA nie zu den Vorkommnissen befragt, als diese mit der Aufarbeitung beginnt. Golüke ist sich sicher: «Diese Tumulte waren nicht zufällig.»
Die Vorgeschichte der Schande von Istanbul beginnt schon vor dem Hinspiel in Bern. Am 8. November 2005 eliminierte die UEFA die Türkei aus dem Kandidatenkreis für die Ausrichtung der EM 2012. Der türkische Verbandspräsident Levent Bıçakcı witterte ein Komplott. Für ihn und für viele andere Türken war dies ein weiterer Beweis dafür, dass man sie in Europa nicht dabeihaben wolle. Vier Tage später unterliegt man einer starken Schweizer Mannschaft in Bern nach Toren von Senderos und Behrami mit 0:2. Es ist ein weiterer Stich ins stolze türkische Herz. Die Mannschaft wird in den heimischen Medien verrissen, das später oft erwähnte Auspfeifen der Nationalhymne ist lediglich eine Randnotiz. Am Montag nach dem Spiel findet indes eine Kehrtwende statt. Im Mittelpunkt stehen nun die schlechte Behandlung der Türken in der Schweiz, die angeblichen Schikanen am Flughafen und natürlich die Benachteilung durch Schiedsrichter Lubos Michel. Die Schweizer hätten eigens türkische Fluchwörter gelernt für diese Partie, behauptete der türkische Nationaltrainer Fatih Terim, genannt «der Imperatör». Zudem gab er an, nicht zur Pressekonferenz zugelassen worden zu sein, obwohl er lediglich gegen die angelehnte Türe gepoltert und danach umgedreht hatte. Terim selbst gab die Order aus, man solle mit den Schweizern «nicht sehr gastfreundlich» umgehen im Rückspiel.
Stimmungsmache vor dem Rückspiel
Das mediale Einheizen übernahmen in den einflussreichsten Zeitungen wie «Hürriyet» und «Sabah» jene Journalisten, die dies schon im Vorfeld anderer Partien in der Türkei mit unschönem Ausgang übernommen hatten. Im Jahre 2000 wurden nach der UEFA-Cup-Partie Galatasaray gegen Leeds zwei britische Fans erstochen, drei Jahre später prügelten im Anschluss an ein Qualifikationsspiel für die U21-EM Polizisten und Ordner auf die flüchtenden Deutschen ein, denen in der Folge die Schuld zugeschoben wurde, weil sie den Ausgleich in der letzten Minute «übertrieben gefeiert» hätten.
Einen Vorgeschmack auf das Kommende erhält die Schweizer Delegation am Flughafen Atatürk von Istanbul. Sie werden schon auf dem Rollfeld von einer Gruppe Fans mit Beschimpfungen und Transparenten («Ich ficke ihre Mutter!», «Hurrensohn Frei») empfangen. Die Gruppe wuchs immer mehr an, während die Schweizer mit aufreizender Langsamkeit durch die Passkontrolle geschleust wurden und unter Eier- und Tomatenwürfen eine halbe Ewigkeit auf ihr Gepäck warten mussten. Dreieinhalb Stunden dauerte die Geduldsprüfung, notabene auf einem der am besten bewachten Flughäfen Europas. Die lapidare Erklärung von Davut Dişli, beim türkischen Fussballverband für die Nationalmannschaft zuständig: «Das war eine spontane Aktion von Flughafenangestellten.»