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Sportchef

maemae
Bei Anruf Sport

GC sucht händeringend nach einem neuen Sportchef. Auf der Shortlist stehen offenbar praktisch alle, die irgendwas mit Fussball am Hut haben oder hatten. Nur unser Chefredaktor fehlt. Das war auch schon anders. Erinnerungen an seltsame Verhandlungen im Herbst 2014 aus ZWÖLF #44.

Text: Mämä Sykora
Bild: Jonas Hegi

Mein Handy vibrierte schon seit einiger Zeit. Ich hätte längst rangehen können. Doch auf dem Display erschien eine unterdrückte Nummer. Und das verheisst selten Gutes. Wer sich nicht zu erkennen gibt, weiss, dass der Angerufene kaum rangehen würde, so er denn wüsste, wer ihn da zu erreichen versucht. Eine Frau in einem ­Callcenter beispielsweise, die in Rekordzeit ihren schon hundertfach aufgesagten Satz ­herunterrasselt, wie ich meine Kranken­kassenprämien drastisch reduzieren ­könne. Oder ein Herr, der mir die Vor­züge der Deutschen Klassenlotterie näher­bringen will. Oder eine Stimme, die mir ausführlich eine breite ­Palette von Magazinen anpreist, die ich am besten gleich im Paket abonnieren soll. Ausschliesslich Anrufer also, die man kaum mehr aus der Leitung kriegt. Es gibt wahrlich keinen einzigen vernünftigen Grund, einen Anruf von einer unterdrückten Nummer entgegenzunehmen. Ich ging ran. Es war ein Anwalt.

Unweigerlich rief ich im Schnelldurchlauf alle Handlungen ab, die mich in den letzten Monaten in den Dunstkreis der Strafjustiz hätten bringen können. Mir kam keine in den Sinn. Gut, da es gab ein paar vielleicht nicht ganz regelkonforme nächtliche Velofahrten durch die Stadt. Vielleicht habe ich mich in meiner TV-Sendung mal ein ganz wenig ­abschätzig über jemanden geäussert. Aber sonst? Ich wollte schon zur pauschalen Unschuldserklärung ansetzen, da legte der Anwalt unvermittelt los: Ob ich mir vorstellen könne, Sportchef eines Super-League-Vereins zu werden!

In meinem Kopf lief sogleich ein Film an: Sykora, wie er im schicken Anzug und mit ledernem ­Aktenkoffer durch die Welt jettet, um in Ghana, Brasilien und Japan ­Fussballer zu beobachten. ­Sykora, wie er unter ­tosendem Applaus die ­neuverpflichteten Superstars präsentiert. Sykora, wie er ganz leger mit dunkler Sonnenbrille ins Blitzlichtgewitter der Fotografen ­lächelt – und zwar nicht mehr mit einem dieser ­zweifelhaften Modelle vom türkischen Kiosk, die zwischen den abgelaufenen Keksen und den knallbunten Limonadedosen auf dem Wühltisch liegen. «Ja», dachte ich spontan, «ich will!». Noch nie waren mir diese Worte so weit vorne auf der ­Zunge gelegen wie nach dieser unerwarteten Anfrage.

Ich komme aus Mettmenstetten – wie Fredy Bickel, der als Mitorgani­sator des lokalen Grümpelturniers einst ­unsere Mannschaft disqualifiziert hatte, weil unser Stürmer auch noch für ein anderes Team aufgelaufen war.
Sportchef also. Da überlegte sich doch tatsächlich ein richtiger Profi­verein, mich als Sportchef einzusetzen. Ich ging kurz meine Erfahrungen auf diesem ­Gebiet durch. Es gab keine. ­Gleichzeitig qualifiziert mich so einiges für diesen Job. Ich komme aus Mettmenstetten – wie Fredy Bickel, der als Mitorgani­sator des lokalen Grümpelturniers einst ­unsere Mannschaft disqualifiziert hatte, weil unser Stürmer auch noch für ein anderes Team aufgelaufen war. Vielleicht gedeihen in der Provinz die Sportchef-Qualitäten besonders gut. Sogar einen Transfer hatte ich schon getätigt: Als Trainer der ruhmreichen Unihockey-­Junioren des UHC Mettmenstetten Unicorns hatte ich ein Talent von ­Ramba Zamba ­Merenschwand losgeeist, das es bis in die NLA bringen sollte.

Und einst führte ich den FC Winterthur im Game «Football Manager» von der ­Challenge in die Champions League. (Weil danach nur ein Angebot von Elche CF kam, verlor ich allerdings die Lust am vir­tuellen Amt als Trainer und Sportchef in Personal­union.) Zudem bin ich bis heute der Überzeugung, als Erster an der U21-EM in Dänemark das Potenzial von ­Thiago Alcántara erkannt zu haben. Gut, er spielte schon damals beim FC ­Barce­lona, aber das lasse ich mir nicht nehmen. Und auch Budgetverantwortung kenne ich zur Genüge, verwalte ich doch das Kafikässeli der Redaktion – das sinnigerweise auch das Bierkässeli ist und daher stets ein stolzes Defizit aufweist. Kurzum, ich war bereit zuzusagen.

Die Anfrage blieb indes sehr vage und der Anwalt sehr diskret. Zu meinem potenziellen neuen Arbeitgeber gab es keinerlei Informationen. Zeit für einen Abzählreim. Der FCB konnte es nicht sein, der ist gut genug aufgestellt. YB hat schon einen Mettmenstetter. Der FCL hat Alex Frei, der mit einer gewissen internationalen Erfahrung meinen ­breiten Leistungs­ausweis leicht toppt. Der FCZ hatte eben erst seine Struk­turen ver­ändert. In Sion gibts für ­alles den ­Constantin. Bei Thun arbeitet ­Andres Gerber sensationell, auch mit Urs ­Bachmann bei Aarau und Heinz ­Peischl beim FC St. Gallen ist man zufrieden. GC setzte erst seit kurzem auf Dragan Rapic. Nur Vaduz hatte niemanden.  Doch der Anwalt bekundete überhaupt keine Mühe mit dem Aussprechen des «ch», was ihn aus dem Kreis möglicher Liechtensteiner schon mal ausschloss.

Trotzdem: Meine Fantasie begann Zeitungsberichte voller Lobhudeleien über «Sykoras goldenes Händchen» zu entwerfen. Bis sich mein Verstand meldete. Man ist ja schliesslich Realist. Die meisten Klubs können sich bei der Auswahl neuer Verstärkungen höchstens in ­Wohlen oder Derendingen umsehen, freilich ohne ihre Ziele wesentlich ­tiefer anzusetzen als der FC Basel. Bei den Vereinen mit gehobenem Budget hingegen fällt vor allem auf, dass sie ihre Sportchefs in regelmässigem Abstand mit Schimpf und Schande davon­jagen. Heinz ­Hermann beim FC Luzern? Zum Coiffeur geschickt. YBs Alain Baumann? Wegrationalisiert. Mathias Walther bei GC? Ist heute Sportdirektor beim maze­donischen Überflieger FK Skendija ­Tetovo. Will ich so ­enden? Als Sünden­bock und Bauernopfer inmitten der Macht- und Ränkespiele der Super-League-Vereine? Nein. Nachdem sich meine Fantasie im Laufe dieser Über­legungen etwas angepasst hatte – ­Postauto statt Flugzeug, Dorfplatz statt Camp Nou, Kurznachrichten statt Titelseite –, sagte ich dankend ab.

Am Tag danach entliess GC Sportchef Dragan Rapic.

 

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