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Das Türkei-Komplott

72542191_2_OFTerims Turnier für einen Mörder
Çatlı selbst wurde 1982 in der Schweiz verhaftet, wo er Heroin gegen Waffen tauschte. Trotz eines türkischen Auslieferungsgesuches wurde er sofort wieder freigelassen. Gleiches passiert kurz darauf in Aachen. Schliesslich wurde er 1986 in Paris festgenommen. Er wurde darauf zu 7 Jahren Haft verurteilt und 1988 in die Schweiz übergeführt. Als Ende Oktober Xamax im Meistercup Galatasaray empfing, nutzte dies der umtriebige Mehmet Ağar für einen Besuch bei Çatlı im Gefängnis Bostadel in Zug. Nur kurze Zeit darauf gelang diesem eine spektakuläre Flucht, bei der einige unerkannte Helfer sowie ein gepanzerter Mercedes und jede Menge Waffen involviert waren. Bis zu seinem Tod beging er, den Ministerpräsidentin Çiller als «grossen Patrioten» würdigte, im Auftrag der Regierung noch diverse Morde, wurde einige Male festgenommen, kam aber jedes Mal sofort wieder auf freien Fuss.

Der Susurluk-Skandal, der all diese Verknüpfungen erst zutage förderte, bewegte Ağar dann doch noch zum Rücktritt als Innenminister. Als Grund gab er an, er müsse sich um seinen kranken Sohn kümmern. Weil er weiterhin im Parlament sass, genoss er aber nach wie vor Immunität. Aber auch nachdem er sein Amt niedergelegt hatte, wurde der Prozess gegen ihn mehrmals erfolgreich hinausgeschoben. Gerichte erklärten sich für nicht zuständig, und als es Ende 2010 endlich vorwärtszugehen schien, forderte der Staatsanwalt lächerliche 6 bis 12 Monate Haft, gleich viel, wie wenn er «ein Huhn gestohlen hätte», wie ein Anwalt verbittert kommentierte. (Update November 2015: Im September 2011, also 15 Jahre nach dem Susurluk-Skandal, wurde Ağar zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Strafe wurde reduziert, seit April 2013 ist er wieder auf freiem Fuss)

Lediglich zwei Personen wurden nach den Susurluk-Ermittlungen angeklagt. Einer davon war Korkut Eken, die rechte Hand von Ağar und Befehlshaber der Todesschwadronen, für die es laut dem parlamentarischen Untersuchungsbericht «kein Gesetz, keine Paragrafen gibt, an den sie sich zu halten haben. Es wurde lediglich ein Befehl gegeben: zu vernichten.» Dennoch war der Aufschrei nach Ekens Verhaftung gross. Nach Ansicht von Ex-Generälen hatte Eken lediglich Befehle von höchster Stelle ausgeführt. Einer, der seine Solidarität mit dem verhafteten Terroristen offen zeigte, war Fatih Terim. Zu Ekens Ehren veranstaltete Terim während seiner Zeit als Galatasaray-Trainer ein Turnier direkt vor dem Gefängnis, in dem Eken inhaftiert war. Er eröffnete es feierlich zusammen mit Mehmet Ağar.

So wenig die Susurluk-Affäre in der Türkei kritisch aufgearbeitet wurde, so wenig kam es zu einer Nachbearbeitung der Ereignisse um das Spiel gegen die Schweiz. Der Präsident des Fussballverbandes sowie der Verantwortliche für die Nationalmannschaft, Davut Dişli, traten zwar in der Folge zurück, indes ohne dass ihnen eine direkte Beteiligung an der Planung der Unannehmlichkeiten am Flughafen – die Gewerkschaft der Flughafenarbeiter ist übrigens mit der rechtslastigen Partei MHP verbandelt – und der Ausschreitungen nach Spielschluss nachgewiesen worden war. Fatih Terims unrühmliche Rolle in dieser Geschichte sowie seine Verbindungen zu jenen Kreisen, die den Terror gegen die Kurden und Oppositionelle orchestrierten, blieben weitgehend unbeachtet.

Keine Folgen für den Imperator
Terim gab im Januar 2006 seinen Rücktritt bekannt, nach Gesprächen mit der TFF-Führung blieb er aber im Amt. Die Altintop-Zwillinge, vor allem Halil, sowie Baştürk und Nuri Şahin, die versucht hatten, die Schweizer im Kabinengang zu beschützen, sanken in Terims Gunst tief und kamen kaum mehr zu Einsätzen. Für seine wütenden Kommentare und Behauptungen nach dem Ausscheiden, in denen er die Schuld dafür der FIFA, den Schiedsrichtern sowie den Schweizern Provokationen zuschob, wurde er vom Weltverband nicht belangt. Die Strafen trafen lediglich die Spieler Alpay (6 Spielsperren), Emre (4), Huggel (4), Serkan Balcı (2) sowie den Schweizer Physiotherapeuten Stephan Meyer (2) und den türkischen Co-Trainer (12 Monate). Darüber hinaus musste die Türkei ihre nächsten drei Heimspiele an einem neutralen Ort und unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen, woraus gegen Malta, Moldawien und Norwegen dennoch 7 Punkte resultierten, was dann auch für die Qualifikation für die EM 2008 reichte.

Obwohl im Vorfeld darüber spekuliert worden war, dass die Türkei gar für eine Endrunde gesperrt werden würde, protestierten die türkischen Medien unisono gegen das Urteil. Man fühlte sich ungerecht behandelt durch den «Hooligan-Präsidenten Blatter» («Sabah»), obwohl die Strafe noch deutlich härter hätte ausfallen können, wäre die Rolle des Verbandes und der Hintermänner genauer unter die Lupe genommen worden. Terims Popularität blieb ungebrochen. Bei einer gross angelegten Umfrage wurde bei der Frage, von welchen Landsleuten sich die Türken im Ausland besonders gut repräsentiert fühlten, an erster Stelle Fatih Terim (15 Prozent) genannt. Immerhin 3,4 Prozent wählten dafür den Papst-Attentäter Mehmet Ali Ağca.

Epilog: Die türkischen Zuschauer gelten zu Recht als heissblütig. Hätten aber im Vorfeld des Schicksalsspiels gegen die Schweiz nicht jene Personen aus dem Umfeld Terims und der Grauen Wölfe gezielt auf dieses unrühmliche Finale hingearbeitet, es hätte wohl kaum so geendet. Was nämlich ohne Instrumentalisierung durch höhere Stellen passiert, zeigte sich zwei Jahre zuvor, als die Letten im Barrage-Spiel in Istanbul ein 2:2 erreichten und damit auf Kosten der Türken an die EM nach Portugal fahren duften: Es wurde sehr laut, es gab ein gellendes Pfeifkonzert, doch danach applaudierte das Publikum den siegreichen Gästen.

Update November 2015: Nach der verpassten WM-Qualifikation trat Fatih Terim im Oktober 2009 zurück. Im August 2013 unterschrieb er für seine dritte Amtszeit als türkischer Nationaltrainer  und schaffte die Qualifikation für die EM-Endrunde 2016.